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#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ)

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Jakob

Jakob

Eine Erzählung von Faquarl

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1. Eine Vertraute König Irovettis
Im Herbst werden wir vom Besuch einer uns bisher unbekannten jungen Frau überrascht. Auf ihr Drängen hin gewähren wir der Dame bereits kurz nach ihrem Eintreffen einen Empfang durch den Hohen Rat. Selbstsicher tritt sie vor. Ihre Haut ist tiefschwarz und die verfilzten Haare reichen ihr in langen Strähnen über die Schultern. Mit wachem Blick inspiziert sie den Ratssaal und richtet ihre Worte dann direkt an den Fürsten. In wenigen, knappen Sätzen stellt sie sich vor. Sie ist Christine Balgator aus Pitax, eine enge Vertraute von Castruccio Irovetti, dem durch die Gnade der Götter rechtmäßigem König von Pitax. Unverblümt kommt sie auf ihr Anliegen zu sprechen. „König Irovetti beobachtet die Geschehnisse im kleinen Rivien schon seit längerem und fragt sich: Wie stehen die Rivas zu Pitax?“ Die Direktheit der Frage ist irritierend und herausfordernd zugleich. Selbstverständlich war Pitax das ein oder andere Mal Gesprächsthema im Hohen Rat, doch bisher haben wir keine Strategie festgelegt, keinen Kurs, den wir König Irovetti gegenüber einschlagen wollen. Noch hatten wir keinen Kontakt mit Pitax und uns auch nicht um die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen bemüht. Vielmehr waren es unsere direkten Nachbarn – die Aldori Schwertherren in Restov, die Varns in den Niemannhöhen und Hannis Drelew im Hakenzungensumpf – bei welchen wir vorstellig wurden. Pitax hingegen stand nie auf unserer Agenda, wohl auch weil unser Auftraggeber Jomani Surtowa hieß und um die Feindschaft zwischen dem Hause Surtowa und Pitax kein Geheimnis gemacht wird. Doch auch nachdem Jomani als Bürgermeister Restovs abgesetzt wurde, waren die Anreize für eine Kontaktaufnahme gering. Denn auch die neuen Herrscher über die Rostlande sind keine Freunde Irovettis. Die Schwertherren in Mivon tragen seit Jahrzehnten militärische Konflikte um die Grenzregionen mit Pitax aus. Aber nicht nur die Sorgen unseren direkten Nachbarn auf die Füße zu treten hielten uns davon ab Boten nach Pitax zu entsenden. Was man bisher aus Pitax vernahm war uns stets suspekt. Irovetti gilt als Tyrann. Willkür scheint das einzige kontinuierliche Prinzip seines Handelns zu sein. Seine Feinde versucht er durch militärische Stärke abzuschrecken und anstelle von Freundschaften und Bündnissen zieht er es vor Vasallen zu unterhalten. So auch Baron Hannis Drelew. Als dieser notgedrungen Pitax um Hilfe bat, waren die Soldaten Irovettis sofort zur Stelle und mit ihnen hielt Korruption und Kriminalität Einzug. Die schlechten Beziehungen zwischen einigen Adelshäusern Brevoys und die beunruhigenden Nachrichten von der Drelewfeste haben uns bisher davon abgehalten Kontakte nach Pitax zu knüpfen.

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Doch wollen wir Frau Balgator selbstverständlich nicht vergraulen und sind prinzipiell immer zu Gesprächen über mögliche Bündnisse bereit. Doch die forsche Gesandte gibt sich mit den Floskeln des Fürsten nicht zufrieden. Gerade heraus spricht sie die Konflikte zwischen Pitax und Brevoy an und will wissen, ob wir uns der Nation Brevoy zugehörig fühlen oder nicht. „Wir sehen uns als eigenständiges Adelshaus und Fürstentum“, entgegnet Moraven selbstbewusst.  „Also bin ich hier gerade nicht in Brevoy?“ „Ihr seid in Rivien.“ Ich unterstreiche diese Aussage des Fürsten mit einem Nicken. Frau Balgator beäugt uns weiterhin misstrauisch. Tatsächlich entspricht diese Auffassung nicht ganz unserem Selbstverständnis. Zwar wären wir vermutlich gerne so eigenständig wie behauptet, doch sahen wir uns bisher stets eng an Brevoy gebunden und auch Noleski Surtowa, Königsregent ganz Brevoys, betrachtet Rivien als Teil seiner Einflusssphäre.

Christine Balgator informiert uns über geheime Treffen einiger Oberhäupter einflussreicher Adelsfamilien. In diesen ausgewählten Runden habe man über uns, über Rivien, gesprochen. Es wäre darüber beraten worden auf welcher Seite wir stehen und ob wir dem König gegenüber loyal seien. Auch gäbe es Pakte, welche uns betreffen. Von solchen Treffen höre ich das erste Mal. Offensichtlich schienen die Lodowka nicht eingeweiht gewesen zu sein, was angesichts unseres Bündnisses jedoch nicht verwunderlich ist. Doch gab es diese Treffen wirklich? Oder versucht die Gesandte aus Pitax nur einen Keil zwischen uns und den brevoyschen Adel zu treiben? Ich will genaueres über die Pakte herausfinden, von welchen Frau Balgator sprach, doch sie bleibt vage. Vermutlich ist sie selbst nicht im Bilde über den Inhalt der dort getroffenen Vereinbarungen – falls es solche tatsächlich geben sollte.

„Über kurz oder lang müsst ihr euch entscheiden. Auf welcher Seite steht ihr? Brevoy oder Pitax?“ Unmut macht sich breit unter den Mitgliedern des Hohen Rates. Erwartet sie etwa, dass wir uns dem Tyrannen Irovetti unterwerfen, wie es Hannis Drelew tat? „Ein Bündnis mit Pitax bietet euch viele Vorteile. In ganz Brevoy fürchtet man unsere militärische Stärke.“ Die unterschwelligen Drohungen sind nicht zu überhören und in den Gesichtern einiger Ratsmitglieder ist bereits die Zornesröte zu sehen, doch Moraven bleibt gelassen. „Was versteht ihr vom Jonglieren?“ Zum ersten Mal scheint es der Gesandten die Sprache verschlagen zu haben. „Die hohe Kunst ein Fürstentum zu leiten besteht darin, alle Bälle gleichzeitig im Auge zu behalten.“ Ein Lächeln zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab. „Ich kann verstehen, dass ihr Ambitionen hegt beim Spiel der Großen teilzuhaben. Aber nicht Rhetorik entscheidet über eure Zukunft, sondern Macht. Früher oder später wird es hier zum Krieg kommen. Wo in Golarion, wenn nicht hier? Genau hier, an diesem Ort. Die Flusskönigreiche südlich von euch sind das vielleicht am meisten umkämpfte Gebiet Golarions. Brevoy, eine gespaltene Nation, die sich nur de jure auf einen gemeinsamen Namen geeinigt hat. Issien und die Rostlande sind seit jeher verfeindet. Viele zarte Blühten, die aus der Wiese des brevoyschen Adels sprossen, verwelkten. Im Namen Irovettis biete ich euch eine Partnerschaft an.“ „Eine Partnerschaft?“, frage ich skeptisch, „Oder eine Knechtschaft?“ Christine Balgator wendet sich mir zu. „Hannis Drelew konnte sich und seine Leute nicht mehr beschützen. Als dieser Surtowa ihn im Stich ließ bettelte er förmlich um Hilfe. Ihr jedoch seid nicht hilflos, oder? Selbstverständlich kann ich euch kein Bündnis auf Augenhöhe anbieten, aber wir verlangen von euch nicht das Knie zu beugen.“ Zumindest in diesem Punkte scheint das Angebot akzeptabel zu sein. Nun droht eine Diskussion zwischen einigen Mitgliedern des Hohen Rates zu entbrennen, doch Moraven sorgt für Ruhe und bittet um etwas Bedenkzeit. Man will sich in Ruhe über das freundliche Angebot beratschlagen. Christine Balgator zuckt mit den Schultern. „Ich werde euch nicht dazu drängen in diesen Tagen auf das Angebot einzugehen. Aber langfristig, sei es in einigen Monaten oder in wenigen Jahren, werdet ihr eine Entscheidung treffen müssen. Noch fühlt ihr euch sicher, noch unterhaltet ihr enge Beziehungen nach Brevoy. Über kurz oder lang wird es jedoch zum Krieg kommen. Wer sich bekriegen wird? Das lässt sich nicht vorhersehen. Aber zu einer vereinten brevoyschen Armee, das wissen wir alle, wird es in diesem Jahrtausend nicht mehr kommen. Was die militärische Schlagkraft angeht, so ist Pitax besser aufgestellt als die meisten Adelshäuser Brevoys. Ihr habt die Wahl, doch solltet ihr die Hand, die man euch reicht, nicht leichtfertigt ausschlagen.“

Sie ist bereits im Begriff zu gehen, da meldet sich Kevil zu Wort. „Seid ihr eine offizielle Gesandte von König Irovetti?“ Langsam wendet Frau Balgator sich dem Hexenmeister zu und taxiert ihn mit kühlem Blick. „Es ist nicht zu verkennen, dass ihr ein Surtowa seid. Das hochnäsige Gehabe, was man in Brevoy pflegt, scheint auf diesen Ort abzufärben. Ich habe mit König Irovetti gesprochen, bevor ich mich auf den Weg machte.“ Kevil setzt ein weiteres Mal an. Ich versuche ihm mit einer Handbewegung verständlich zu machen, dass es besser ist den Mund zu halten, doch er scheint es nicht zu bemerken. „Bekleidet ihr ein Amt oder nicht?“ Moraven verdreht angesichts dieser Frage die Augen. „Sagen wir einfach: Ich bin eine gute Freundin von Castruccio Irovetti. Ist euch das offiziell genug? Oder brauche ich noch einen Brief mit Stempel, der mich als Vertraute des Königs ausweist? Soll ich das nächste Mal einen Freundschaftsvertrag vorlegen?“ Der hitzige Kevil will etwas entgegnen, doch Moraven beendet das Gespräch an dieser Stelle, um weiterem Schaden vorzubeugen. Die Worte eines Surtowa werden auf keinen fruchtbaren Boden fallen. Der Fürst bietet unserem Gast eine Kammer in der Hirschfeste an, doch Christine Balgator lehnt ab. Sie sei auf der Durchreise nach Mivon. Auf dem Rückweg jedoch will sie Narlgaard einen weiteren Besuch abstatten.

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2. Bündnisse und Bestechungen
In den darauffolgenden Wochen reist Kevil von Nord nach Süd, von Ost nach West. In seiner Funktion als Diplomat ist sein Verhandlungsgeschick nun gefragt unsere Position im Beziehungsgeflecht der brevoyschen Adelshäuser, der Aldori Schwertherren in Restov und Mivon, unserem letzten verbliebenen Nachbarn Hannis Drelew und dem König in Pitax zu stärken. Seine Reise führt ihn zunächst zur Festung Steinstieg, dem Sitz des Hauses Medwjed am Fuße der Raueisgipfel. Es bedurfte der Überredungskünste einiger Ratsmitglieder, um unseren lustlosen Fürsten davon zu überzeugen ihn auf dieser Reise zu begleiten. Das Interesse Franziska Medwjeds, der Nichte von Fürst Gurev Medwjed, an Moraven war kaum zu übersehen. Die Vorzeichen eines Besuches stehen daher gut. Einer Annäherung zum Hause Medwjed steht nichts im Wege. Sie halten sich aus Streitigkeiten der anderen Adelshäuser heraus und verweigern seitjeher jede konfliktträchtige Positionierung. Freundschaftliche Beziehungen zur Familie Medwjed werden uns daher aller Wahrscheinlichkeit nach keine neuen Feinde einbringen, wie es etwa durch das Bündnis mit den Lodowka geschehen ist. Jedoch dürfen wir nicht auf einen Bündnispartner hoffen, welcher sich in Schwierigkeiten bringen wird, sollten wir in Konflikte hereingezogen werden.

Sein nächstes Ziel ist Silberhalle. Unsere Begegnungen mit den Lebedas waren stets erfreulich und so hoffen wir mit ihnen einflussreiche Partner zu gewinnen. Anlass des Besuchs ist der Erwerb einiger Handelsschiffe. Nach der Hochzeit sind einige Frauen und Männer der Lodowkas in Narlgaard verblieben, um den Bau eines Hafens zu koordinieren. Bis wir diesen in Betrieb nehmen können, werden noch viele Monate ins Land gehen. Doch was ist ein Hafen ohne Schiffe? Kozek, welcher uns den Hafen anlässlich der Verbindung unserer Häuser geschenkt hat, begleitet uns. Seit Kindertagen fährt er auf See und wird uns bei dem Kauf beraten. Wir werden von Lander Lebeda empfangen. Seit unserer ersten Begegnung, der Einweihung der Hirschfeste vor zwei Jahren, bei der ich dem begeisterten Jungspund eine ausgedehnte Führung durch die Burg bot, ist sein Auftreten deutlich seriöser geworden. Die kindliche Freude verbirgt er hinter ernster Miene und ist sichtlich bemüht seiner Mutter zu beweisen, dass er ein angemessener Repräsentant der altehrwürdigen Familie ist. Doch seine Ansprache wirkt gestelzt und wenig authentisch. Während den anschließenden informelleren Gesprächen, die Schiffe konnten wir zu angemessenen Preisen erwerben, gibt er sich seiner Neugierde hin und stellt eine Frage nach der anderen. Der aufgeweckte Junge will alles über unsere Erlebnisse in Erfahrung bringen. „Was ist geschehen mit dem Nebel in dem Wald?“, „Haben wirklich Trolle Narlgaard angegriffen?“, „Wo wart Ihr, so kurz nach der Hochzeit?“ Lachend klopft Kozek dem wissbegierigen Lander freundschaftlich auf die Schulter. Seine Mutter ist davon wenig begeistert, soll ihr Jüngster doch schon bald auf Augenhöhe mit den hohen Vertretern anderer Häuser Verhandlungen führen. Bevor wir zu sehr ins Detail gehen können, greift sie ein. Vermutlich befürchtet Saronna Lebeda, dass ihr Sohn auf dumme Gedanken kommen könnte, welche ihn von seiner Pflicht ablenken. Langfristig hoffen wir Botschafter auszutauschen und Handelsbeziehungen mit dem Hause Lebeda aufzunehmen. Doch viele Meilen trennen Narlgaard und Silberhalle. Bis die ersten Waren eintreffen ist noch ein weiter Weg.

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Neben einem Geschäft mit dem Hause Lebeda führt uns noch ein anderes Anliegen nach Silberhalle. Vor wenigen Tagen erhielten wir einen Brief von Velarion Cinovere mit der Bitte um ein vertrauliches Gespräch. Herr Cinovere, so berichtete Thuul, sei Bankier und geweihter Abadars. Er verwaltet die Finanzen der Kirche Abadars in Silberhalle und verfügt somit über nicht unerhebliche Mengen an Gold und Platin. Kurz nach der Flucht Grigoris informierten Thuul, Grunda und Aljoscha Vertreter der Kirche Abadars über den Verrat des Hohepriesters, welcher vor über einem Jahr von Silberhalle nach Narlgaard kam. Vor dem imposanten Gebäude im Zentrum Silberhalles treffen Kevil und ich auf Moraven und Eskel.

Was von außen pompös wirkt ist nur ein Vorgeschmack auf das, was uns im Inneren des Tempels erwartet. Die Vorliebe für ausufernde Goldverzierungen, aufwändige Schnitzereien und roten Samt konnten wir schon in Narlgaard beobachten. Der Anblick, der sich uns hier jedoch bietet, ist mit dem unseres bescheidenen Tempels nicht zu vergleichen. Die ausladenden Hallen überwältigen die Sinne. Ein Mosaik aus Edelsteinen schmückt den Altar. Überall glänzt und funkelt es. Licht fällt durch die Fenster aus Buntglas, welche den Gott der Mauern und Gräben, die Goldfaust, den wohlhabenden Vater und Richter der Götter zeigen. Ich schreite die hohen, rund zulaufenden Fensterreihen ab und sehe Abadar, den Erbauer gigantischer Städte, Abadar im Zweikampf mit Lamashtu und Abadar, den Richter über die Taten der zivilisierten Völker. Der zurückhaltende Herr, welcher uns in Empfang nahm, gewährt uns einige Zeit, um den Prunk zu bestaunen, ehe wir den Grund unseres Besuches ansprechen. Er ist informiert und führt uns durch einige Gänge zum Schatzmeister. Vor der ersten Tür bleibe ich unvermittelt stehen. Mein Blick fällt auf das Symbol an der Tür: ein goldener Schlüssel. Ich sehe die dunkle Kammer dahinter, das Becken mit der zähen Flüssigkeit, die Fratze, das entstellte Gesicht Grigoris. „Alles in Ordnung?“ Eskel sieht mich besorgt an. Seinem irritierten Ausdruck ist zu entnehmen, dass seine ersten Ansprachen nicht zu mir durchgedrungen sind. Es braucht einen Moment, dann nicke ich unsicher. Mein Freund klopft mir auf die Schulter und ich gehe, etwas zu schnell, durch die Tür. Doch bei jeder weiteren Pforte, welche mit dem Symbol versehen ist, steigt ein altbekanntes Gefühl in mir auf. Mir wird mulmig, ich spüre mein schneller schlagendes Herz wie es gegen meine Brust hämmert, fühle den sauber vernähten Schnitt und ertappe mich dabei, wie ich mich gehetzt umsehe. Immer wieder blitzen verstörende Erinnerungen vor meinem geistigen Auge auf. Doch die Personen, denen wir begegnen sind nicht maskiert. Eine Gepflogenheit, welche nur Grigori und seinem engen Vertrauten zu eigen war. Aus gutem Grund, wie wir schmerzlich erfahren mussten.

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Als wir schließlich die Gemächer Velarion Cinoveres Betreten steht mir der Schweiß auf der Stirn. Er begrüßt uns förmlich und streckt mir seine Hand entgegen. Fahrig ergreife ich sie und lasse mich hastig in einen Stuhl sinken, ohne seine Aufforderung abzuwarten. Uns gegenüber sitzt ein Elf. Erste Falten zeichnen sich auf seinem Gesicht ab. Er kleidet sich in teure Gewänder. Vom ersten Augenblick an ist mir dieser Zeitgenosse unsympathisch. Meine Unsicherheit kompensiere ich mit einer gehörigen Portion Verachtung. Doch überlasse ich, wie ich es in letzter Zeit regelmäßig zu tun pflege, das Wort unserem Fürsten. Auch Kevil hält sich, wie es für ihn doch eher untypisch ist, auffallend zurück. Herr Cinovere kannte Grigori nach eigner Aussage gut, was ich selbstverständlich entweder stark in Zweifel ziehen oder ihn verdächtigen muss in Dinge verwickelt zu sein, in die er besser nicht verstrickt ist. Er habe von den Vorwürfen gehört, welche wir gegen den Priester erheben und will genaueres über die Vorfälle wissen. Vorwürfe? Wenn ich diese Formulierung schon höre, könnte ich diesem eingebildeten Kautz seinen Silberlöffel ins Gesicht werfen. Doch das scheint schlicht der allgemeine Umgangston dieser seelenlosen Abadar-Emporkömmlinge zu sein.

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Moraven klärt ihn auf, spart dabei aber die Geschehnisse in Dis aus. Grigori habe seine wahres Gesicht stets verborgen, seine Identität verschleiert. Er habe Zon-Kuthon, dem Prinzen der Schmerzen, gedient und eine Mordserie in Narlgaard und unseren Vermutungen zufolge auch in Silberhalle zu verantworten. Gemeinsam mit seinem Handlanger Jeremias hat er Personen entführt und rituell hingerichtet. Als Moraven mit seinem Bericht endet stellt der Meister der Münze zu unserer Überraschung keine Rückfragen, sondern bietet uns einen schlichten Handel an. „Was ist euch ein Schweigen wert in dieser Sache?“ Um den Ruf der Kirche Abadars in Silberhalle nicht zu beschmutzen, will er den Bewohnern der Stadt erzählen, dass Vater Grigori bereits in Silberhalle ermordet wurde. Sein Mörder nahm seine Identität an, verließ die Stadt in Richtung Narlgaard und verübte dort schreckliche Verbrechen. So würden unsere Geschichten sich nicht widersprechen, niemand würde Verdacht schöpfen. „Der Einfluss unserer ehrenwerten Institution hat unter dem Aufstieg des Hauses Lebedas gelitten. Wir können uns den Verdacht, dass wir über Jahre hinweg getäuscht wurden und ein Priester im Abadargewand derartige Gräueltaten verübt hat einfach nicht leisten.“ Über diese Wendung der Unterhaltung sind wir alle höchst irritiert. Wie kann ein Gelehrter einer Gottheit, welche sich dem Recht und Gesetz verschrieben hat, derartige Untaten vorsätzlich vertuschen? Aber Herr Cinovere betont, dass Vater Grigori, unserer Geschichte folgend, nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Daher gehe es nun um Schadensbegrenzung. Erwartungsvoll sieht der Bankier in ungläubige Gesichter. Er reicht uns ein unbeschriebenes Blatt Pergament mit der Forderung eine Summe zu nennen. „Wenn die Kirche Abadars irgendetwas ist, dann ist sie wohlhabend.“  Ich bin einigermaßen entsetzt. Dieser Kerl hat keine moralischen Bedenken einen Täuscher und Mörder zu decken. Eine Person, die vielfach und willkürlich unschuldige Personen abgeschlachtet hat. Er gibt uns etwas Bedenkzeit und verlässt den Raum. Kevil beginnt sofort Beträge in den Raum zu werfen. „Sie könnten die Reparatur des Tempels übernehmen. Oder den Bau einer Garnison. Vielleicht könnten sie uns sogar das Geld für eine kleine Armee zur Verfügung stellen!“ Eskel hört dem übersprudelnden Hexenmeister geduldig zu und erwidert nachdenklich. „Gehen wir auf das Geschäft ein, sind wir an unser Versprechen gebunden.“ Moraven und ich sind, was nicht häufig vorkommt, einer Meinung. Als Velarion Cinovere den Raum betritt und erwartungsvoll uns gegenüber Platz nimmt reicht Moraven ihm das Pergament. „Wir können eure Version der Geschichte nicht widerlegen.“ Lächelnd entrollt der Bankier die Rolle und ich füge hinzu. „Aber wir lassen uns nicht kaufen.“ Das Blatt ist leer.

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Im Neth kehrt Christine Balgator aus Mivon zurück. Ob sie in dort mit hochrangigen Schwertherren verhandelt oder die Führer anderer Organisationen getroffen hat, um ihre Feinde von innen zu schwächen erfahren wir nicht. Sie ist verschwiegen und selbst Moraven gelingt es nicht die wortkarge Diplomatin zum Plaudern zu bringen. Der Fürst hat fest vor sein Versprechen gegenüber Frau Balgator zu wahren und sie den weiten Weg zur Drelewfeste zu begleiten. Da uns bisher nicht die Ehre zu Teil wurde diesen Ort zu besuchen, Hannis Drelew hatte sich nie bemüht seine Geringschätzung uns gegenüber zu verbergen und erst im vergangenen Jahr den Kontakt nach Rivien gesucht, habe ich nicht die Möglichkeit den Weg auf magische Weise zu überbrücken. Zwar bin ich nicht erpicht darauf mehrere Tage die Gesellschaft dieser Dame zu teilen, doch sehe ich die Notwenigkeit Moraven bei diesem Unterfangen zu unterstützen. Wir wollen freundschaftliche Signale in Richtung Pitax senden und die Beziehungen zu unserem Nachbar Hannis Drelew im Hakenzungensumpf intensivieren. Schließlich hat er erst kürzlich eine Handelsroute zwischen Narlgaard und der Drelewfeste ins Spiel gebracht. Von Handelsposten aus brauchen wir dank meines Phantomstreitwagens nur knapp zwei Tage, bis wir die Festung in den Sümpfen erspähen. Tatsächlich springt mir zuallererst der gelbe Kelch auf blauem Grund ins Auge, das Banner von Pitax, welches neben dem Wappen der Drelews im Wind weht.

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Ich hatte befürchtet, dass Frau Balgator den Gesprächen zwischen uns und Hannis Drelew beiwohnen wird, um ihrem Herrn in Pitax davon zu berichten. Zu meiner Überraschung reist sie jedoch bereits früh am folgenden Tag weiter. Ich stelle ihr einen weiteren Phantomstreitwagen zur Verfügung. Sie scheint die Annehmlichkeiten dieser deutlich schnelleren Fortbewegungsart zu schätzen und bringt sogar einige wenige knappe Worte des Danks über die Lippen. Kurz danach teleportiere ich mich nach Narlgaard, um binnen weniger Minuten gemeinsam mit Kevil zurückzukehren. Wir hatten es vermeiden wollen die Reise mit einem Surtowa anzutreten, hatte sich doch Konfliktpotential bereits bei der ersten Begegnung abgezeichnet. Doch als Diplomat sollte er solch bedeutenden Gesprächen nicht fernbleiben.

Hannis Drelew war einige Monate vor uns ebenfalls von Jomani Surtowa, dem damaligen Bürgermeister Restovs, beauftragt worden die Raublande zu zivilisieren. Weil der Baron über das größte Kapital verfügte, wurde ihm die gefährlichste Region zugewiesen: Den Hakenzungensumpf. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich jemand freiwillig am Hakenzungensee niederlässt. Im Osten und Süden Moore so weit das Auge reicht. Ein gänzlich unattraktiver Landstrich, welcher von Boggards bewohnt wird. Noch haben wir uns kein eigenes Bild von der Landschaft und den Boggardsiedlungen gemacht, aber die Erzählungen Garuums waren allesamt wenig erfreulich. Im Norden das Glenebon-Oberland, welches von den Tigerherren, einem kriegerischen Barbarenstamm, kontrolliert wird. Und im Westen Pitax, was dem von den Surtowas ausgesandten Baron alles andere als Wohlwollen entgegenbrachte. Entsprechend schwierig gestaltete es sich dort Fuß zu fassen. Baron Hannis Drelew lieferte sich Scharmützel mit Boggards und sah sich der ständigen Bedrohung durch die Tigerherren ausgesetzt. Als er mit der Absetzung Jomani Surtowas auch noch die Unterstützung Restovs verlor, unterwarf er sich notgedrungen dem Tyrannen aus Pitax. Irovetti schickte seine Männer zur Drelewfeste, doch die erkaufte Sicherheit hatte einen hohen Preis. Es dauerte nicht lange bis auf den Straßen der kleinen Ortschaft pitaxsche Zustände herrschten. Kriminalität und Korruption stehen nun an der Tagesordnung, so berichtete es Thuul Klarhaupt. Baron Hannis Drelew, der bei unserer ersten Begegnung am Tag des ersten Schnees noch auf uns herabsah und keinerlei Interesse an Beziehungen zu seinen Nachbarn zeigte, sendet in den vergangenen Monaten vermehrt freundliche Signale. Thuul war von ihm persönlich empfangen worden und kehrte mit einem Schreiben zurück, welches das Interesse zum Ausdruck brachte, Handelsbeziehung zu uns aufzunehmen. Bei meiner Hochzeit war der Baron zwar nicht persönlich zugegen, ließ jedoch ein Geschenk und Grüße übermitteln. Nun wollen wir erste direkte Kontakte aufbauen und Pläne für eine Handelsroute ausarbeiten.

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Tatsächlich ist man hier sehr bemüht einen guten Eindruck zu hinterlassen. Der Baron empfängt uns in seinen Hallen und über eine große Karte gebeugt loten wir die Möglichkeiten für eine Handelsroute aus. Doch die Planungen gestalten sich schwieriger als angenommen. Eine Schiffsverbindung über den Murks führt unweigerlich an M’Botuu, der größten Boggardsiedlung im Hakenzungensumpf vorbei. Alle Waren auf diesem Weg müssen gut geschützt werden. Eine Straße zwischen der Drelewfeste und Rezbinnen führt meilenweit durch Morast und über kleinere Flüsse, welche regelmäßig über die Ufer treten. Selbst wenn es gelänge eine Strecke durch den Sumpf trockenzulegen, wären die Karawanen auf dieser Route keineswegs sicher. Boggards können überall in den Sümpfen lauern. Moravens Frage, ob er versucht hätte mit den froschähnlichen Kreaturen Verhandlungen zu führen, hielt er offenbar für einen Scherz des exzentrischen Fürsten. Solche Überlegungen scheinen dem Baron gänzlich fremd. Bestechen könne man diese Kreaturen, aber mit ihnen verhandeln? Ein Ding der Unmöglichkeit.

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3. Ein Erlass des Königs
Frederick Weiß-Tosporius hält das Schriftstück vorsichtig mit den Fingerspitzen, als wäre es eine äußerst fragile Schnitzerei. Als ich an ihn herantrete und das versiegelte Schreiben entgegennehmen will, streckt er es mir nervös entgegen. Seine Hände zittern ein wenig, es entgleitet ihm und fällt zu Boden. Hastig bückt er sich und bittet mehrfach um Verzeihung. Mir ist das Siegel bekannt, es zeigt einen Einmaster.  Mit einem Stirnrunzeln mustere ich das Schreiben. Den Grund für seine Unsicherheit kann ich nicht nachvollziehen. Im letzten Jahr, insbesondere im Zuge meiner Hochzeit, waren Briefe der großen Adelshäuser Brevoys eher an der Tagesordnung, als eine Ausnahme. „Ein Schreiben der Surtowas“, stelle ich fest. Weiß-Tosporius schüttelt den Kopf, um sofort energisch zu nicken. „Nein. Der Surtowas, sehr wohl. Aber nicht aus Eishafen. Herr Magister, seht, die Inschrift.“ Tatsächlich stammt dieser Brief nicht aus Eishafen, sondern aus Neu Stetven. „Die Anordnung der Sterne. Dies ist ein Erlass des Königs.“ Anerkennend betrachte ich die Details, welche ich beim ersten Hinsehen nicht bemerkt habe. Selbst wenn es mir aufgefallen wäre, so hätte ich daraus nicht diese Schlüsse ziehen können. Während ich darüber nachdenke, wer damals das glückliche Händchen bewies Frederick Weiß-Tosporius das Amt des Schreibers am Hofe auszustatten, breche ich das Siegel, halte dann jedoch inne. „An wen ist er adressiert?“ „Die Boten sagten, er solle dem Hohen Rat überbracht werden.“ Kurz überlege ich den Brief hervorzuholen, überreiche es dann jedoch dem Fürsten. Mit jedem Satz, den er im Stillen liest, verfinstert sich seine Miene. Schweigend reicht er ihn weiter und ich muss mitansehen, wie Magni empört grunzt und Eskels Kiefer sich anspannen. Ich versuche die aufsteigende Neugierde und Nervosität zu unterdrücken. Schließlich halte auch ich das Papier in Händen.

Tatsächlich handelt es sich um einen Erlass, unterschrieben von Noleski Surtowa, Regent des Drachenschuppenthrones. Darin teilt er uns sehr formell mit, dass Erwil Pendrot in ganz Brevoy alle Forschungsaufträge entzogen, alle Gelder und damit auch alle damit verbundenen Befugnisse gestrichen werden. Sollte einer Person sein Aufenthaltsort bekannt sein, verpflichtet dieser Brief dazu, den König in Neu Stetven darüber zu unterrichten. Über Gründe dieser abrupten Wendung werden wir in Unkenntnis gelassen. Der Erlass macht die Runde ich stelle fest, dass Moraven anscheinend während ich ihn las verschwunden ist. Wenig später taucht er wieder auf, doch sofort fällt auf: Seine Laute hat er nicht mehr dabei. Sein Tonfall verrät den Ernst der Lage. „Die Rivas werden sich in kleiner Runde beraten. Kevil, wenn Ihr mitkommen mögt.“ Ich erschaffe einen außerdimensionalen Raum, in den wir uns zurückziehen können. Eine Vorsichtsmaßnahme aus der Trickkiste des Historikers, der nun in Brevoy keine geduldete Person mehr zu sein scheint. Als zusätzlichen Schutz wirke ich einen Bannzauber auf alle Anwesenden, welcher uns vor den meisten Erkenntniszaubern schützen wird.

Oben angekommen liest sich der Fürst das Schreiben ein zweites Mal durch. Meine Augen ruhen auf Kevil. Moraven hat guten Grund ihn miteinzubeziehen. Es dauert einen Moment, bis der Fürst die richtigen Worte findet. „Erwil ist unser aller Freund.“ Zustimmendes Nicken, Kevil verharrt reglos. Er hatte bisher nur wenig Kontakt zu dem Magier. „Da jedoch niemand hier weiß wo er sich momentan aufhält“, sein Blick schweift durch die Runde und bleibt an mir hängen. Auch ich gebe mit einem Schulterzucken zu verstehen, dass ich nicht in Kenntnis über seinen Aufenthaltsort bin, „können wir dem König in dieser Angelegenheit nicht weiterhelfen.“ Kevil spürt die auf ihn gerichteten Augenpaare und beginnt sich sichtlich unwohl zu fühlen in seiner Haut. Trotzig blickt er auf und blickt entschlossen in die Runde. „In erster Linie bin ich ein Mitglied des Hohen Rates von Rivien. Mein Name macht mich nicht zu einem Verräter. Schon einmal habe ich mich den Befehlen eines Familienmitglieds verweigert.“ Nach dieser deutlichen Stellungnahme des Hexenmeisters weicht die Anspannung und Besorgnis macht sich breit. Was bewegt den König zu einem solchen Schritt? Weshalb ist Erwil dem Königsregenten ein Dorn im Auge? Offenbar scheint Noleski darauf bedacht den Historiker aufzuspüren. Was, wenn dies bereits geschehen ist? Moraven bittet mich Erwil mit einem Ausspähungszauber ausfindig zu machen. Ich weise den Vorschlag zurück. Es wäre keine gute Idee Erwils Aufenthaltsort zu erfahren, denn jedes Wissen kann letztlich eine Gefahr bedeuten. Sollte er sich bereits in den Händen des Königs befinden, werden seine Schutzzauber meine Versuche unterbinden. Außerdem würde es dem Magier vermutlich gelingen den Zauber abzuschütteln. Man sollte einen Freund nicht leichtfertig zum Ziel solcher Magie erklären. Ich biete jedoch an ihm mit Hilfe eines anderen Zaubers eine knappe Nachricht zukommen zu lassen. Moraven bringt mir einige Sätze auf zyklopisch bei, der Sprache, welche Erwil ihn lehrte. Weil das Alphabet dieser Sprache mir gänzlich unbekannt ist, schreibt er den Text in Lautschrift auf. Mehrmals üben wir gemeinsam, dann wirke ich den Zauber. Ich übermittle die Nachricht, bin mir jedoch aufgrund der ungewohnten Aussprache nicht sicher, ob meine Worte nur sinnentleertes Gefasel sind. Doch Moraven bestätigt, dass ich Erwil soeben über den Erlass des Königs informiert und mich nach seinem Wohlergehen erkundigt habe. Ich erhalte keine Antwort.

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4. Eine Vertraute Erwil Pendrots
Seit dem Erhalt des königlichen Erlasses ist keine Woche vergangen, als uns zwei Reisende aus Iobaria angekündigt werden. Ein Mann mittleren Alters, bärtigem, wettergegerbtem Gesicht und eine schlanke, aufgeweckte Halblingsfrau mit aufwändiger Gesichtsbemalung betreten die Halle der Hirschfeste. Ihre dicke Winterkleidung ist von der Reise sichtlich mitgenommen. Moraven begrüßt die beiden mit einer alt-iobarischen Redewendung und bietet ihnen Getränke an. Die kleine Frau ergreift zuerst das Wort und stellt sich vor. „Mein Name ist Gwin.“ Erwartungsvoll blickt sie zu ihrem Begleiter, doch der sucht schweigend und in Gedanken mit seinen dunklen Augen die Reihen des Hohen Rates ab. Als er keine Anstalten macht sich selbst vorzustellen spricht sie an seiner Stelle. „Und das ist mein Reisegefährte Josif.“ Erst als sein Name fällt zeigt er eine Regung, nickt und fügt knapp hinzu: „Man erzählte mir, dass Eskel hier anzutreffen sei.“ „Das ist korrekt“, erwidert Magni, „doch ihr habt ihn verpasst. Der Landvogt ist zurzeit in Dreistrom, aber vermutlich wird er bald zurück sein.“ „Richtet ihm aus, ein alter Freund wartet im Eber auf ihn.“ Ohne ein Wort des Abschieds macht der Mann auf dem Absatz kehrt.

#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Gwin11#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Josif_11

Ein alter Freund? Eskel hat nie viel erzählt von seiner Vergangenheit. Er war Grenzer und habe die hilfsbedürftigen Bewohner Iobarias vor den Überfällen wilder Kreaturen beschützt. Wenn dieser Josif auch aus Iobaria kommt, vielleicht ist er auch ein Mitglied der Vereinigung, welche sich Grenzer nennt. Gwin scheint einen Moment amüsiert über das Getuschel. „Josif ist manchmal etwas wortkarg. Er findet an langatmigen Unterredungen wenig Gefallen.“ Dann wird sie jedoch wieder Ernst und verschafft sich Gehör. „Ich komme im Auftrag von Erwil Pendrot und habe beunruhigende Neuigkeiten.“ Sofort hat sie unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Moraven springt auf und macht eine Geste in ihre Richtung. Sie will gerade erneut ansetzen, als sich eine magische Stille über sie legt. Ihr Mund bewegt sich, doch kein Ton dringt hervor. Aus hellen Augen fixiert die Halblingsfrau den Fürsten. Kevil und Magni reden auf sie ein und es dauert einen Moment bis ich zu ihnen vordringe. „Sie kann euch nicht hören!“ Also versuchen sie mit beschwichtigenden Gesten auf sie einzuwirken. Gwin ist von diesem plötzlichen Tumult irritiert und angesichts von Moravens Zauber verärgert. So empfängt man auch wirklich keine Gäste. Moraven bittet mich, die gängigen Schutzzauber zu wirken. Kevil und Magni gelingt es unterdessen der Halblingsfrau deutlich zu machen, dass hier kein sicherer Ort für ein solches Gespräch sei. Als der Zauber endet schüttelt Gwin mit dem Kopf und nuschelt kaum vernehmbar: „Seltsame Freunde, das waren seine Worte. Wie Recht er hatte!“ Moraven bittet um Verzeihung, was sie milde zu stimmen scheint.

Doch wer ist diese Halblingsfrau? Eine Freundin Erwils? Eine Spionin des Königs? Wie können wir ihr vertrauen? Wenn wir verifizieren könnten, dass sie tatsächlich das Vertrauen Erwils genießt, dann würde sich jegliche Bedenken zerstreuen. Nur wenige Personen sind bei den Mitgliedern des Hohen Rates so hoch angesehen wie der Historiker. Seine Freunde sind uns willkommene Gäste und selbstverständlich wollen wir in Erfahrung bringen, ob es Erwil gelungen ist sich vor dem König und seinen Häschern zu verstecken. Ich bitte sie daher mir die Erinnerung einer Begegnung mit Erwil zur Verfügung zu stellen, mir also einen kurzen Einblick in ihren Geist zu gewähren. Es bedarf etwas Überredungskunst, aber schließlich willigt sie ein. Als ich den Zauber wirke, stoße ich zunächst auf Widerstand. Instinktiv versucht Gwin dem Zauber zu widerstehen. Ich blicke tief in ihre goldgelb glühenden Augen und merke wie der Widerstand schwindet. Plötzlich bin ich an einem anderen Ort. Eisiger Wind peitscht gegen die klapprigen Fensterläden einer zwielichtigen Kaschemme. Vermutlich bin ich irgendwo in der frostigen Einöde Iobarias. Im Hintergrund erhasche ich den Blick auf einige schemenhafte Gestalten, eingehüllt in dicke Wollmäntel. Mir gegenüber sitzt Erwil Pendrot und vor ihm, auf dem mit Wachsflecken übersäten Holztisch knabbert Frau Herbstflügel an einer alten Rübe. Einige Sekunden verharrt mein Blick auf der zierlichen Schmetterlingsflügel der Lyrakien. Dann vernehme ich die vertraute Stimme Erwils. Es fallen mir unbekannte Ortsnamen. Gwin berichtet an den genannten Orten merkwürdigen Kreaturen begegnet zu sein und anhand ihrer Beschreibung erkenne ich sofort, dass es sich um Urdefhane handeln muss. Erwil nickt niedergeschlagen. Erst jetzt bemerke ich, dass die Schatten auf seinem Gesicht nicht das Produkt der flackernden Kerze sind, welche bei jedem Windzug durch den Raum auszugehen droht. Er hat tiefe, dunkle Ringe unter den Augen und wirkt matt. Doch als er Gwin ansieht lächelt er milde. Sein müder Blick strahlt eine tiefe Zuneigung ihr gegenüber aus. Er setzt zu einer Erklärung an, doch dann verschwimmt der Raum vor meinen Augen und ich stehe wieder in den Hallen der Hirschfeste. Gwin weicht erschrocken zurück und zischt etwas Unverständliches. Ich kann ihr das nicht übelnehmen. Einen fremden Geist eindringen zu lassen ist mit Sicherheit keine schöne Erfahrung. Die anderen Ratsmitglieder sehen mich fragend an und scheinen die Sorgenfalten in meinem Gesicht falsch zu deuten. Noch immer bin ich erschrocken von dem Anblick Erwils. Er sah ausgezehrt aus. Mit einem vorsichtigen Nicken gebe ich zu erkennen, dass ich der Halblingsfrau vertraue. Also belege ich auch sie mit einem Zauber, welche sie vor Ausspähungen schützt und bitte sie uns zu folgen. Ein zweites Mal binnen einer Woche wird eine Ratssitzung an einen außerdimensionalen Ort verlegt.

Gwin scheint mit diesem Prozedere bereits vertraut zu sein. Ein Lächeln macht sich auf ihrem Gesicht breit, als sie den von mir geschaffenen Raum inspiziert. „Ich habe mich immer über diese Farbgebung gewundert.“ Wir machen es uns gemütlich und haben endlich die Gelegenheit uns in Ruhe vorzustellen. Moraven erklärt sich, indem er in Kürze den Inhalt des Briefes des Königs wiedergibt. Gwin scheint in Unkenntnis von dem königlichen Gesuch. „Als ich ihn das letzte Mal sah war er fahrig und wirkte gehetzt. Wenn ihr ihn kennt, dann wisst ihr, dass das nicht seine Art ist.“ Zumindest scheint er von dem Vorhaben des Königs in Kenntnis gewesen zu sein. War er auf der Flucht? Gwin berichtet im Auftrag Erwils alte Zyklopenstätten in Iobaria untersucht zu haben. „Es passieren seltsame Dinge und Erwil erzählte mir, dass hier Ähnliches geschieht. Grabstätten werden geöffnet. Inschriften unkenntlich gemacht und überall trifft man auf Urdefhane und schlimmere Kreaturen.“ Wir bestätigen, dass diese Monster auch hier ihr Unwesen treiben. „Erwil berichtete mir vor etwa einem Jahr, bevor diese Wesen auftauchten, dass einige unvorsichtige und leichtsinnige Personen zufällig auf ein uraltes Zyklopengrab gestoßen seien und dort Unsinn getrieben hätten. Er war etwas verärgert und meinte, dass dort Mächte geweckt wurden, die niemals hätten geweckt werden dürfen.“ Sie wirft einen spöttischen Blick in die Runde. „Ich nehme an er sprach von euch.“ Unter den Anwesenden war ich der einzige, welcher bei dem besagten Ereignis zugegen war. Ich lasse mich von dieser spitzen Bemerkung nicht provozieren und lasse sie unkommentiert im Raum stehen. „Nun ist seither viel geschehen. Die wenigen erhaltenen Aufzeichnungen über das alte Koloran, das riesige Zyklopenimperium, was sich weit über das heutige Iobaria, Issien und die Rostlande erstreckte, sind lückenhaft, sodass sich die genauen Standpunkte der damaligen Siedlungen nicht rekonstruieren lassen. Schon lange ist Erwil auf der Suche nach den alten Grabstätten, doch es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Zudem werden diese ehrwürdigen Stätten mit mächtiger Magie geschützt. Doch was im letzten Jahr geschehen ist, hat ihn erschüttert. An einigen Orten in Iobaria sind riesige Berghänge eingestürzt. Die Stadt Orlov, erbaut auf den Ruinen einer Zyklopenstadt, wurde vor kurzem von einem heftigen Erdbeben heimgesucht. Ein Großteil der Gebäude ist eingestürzt, unter anderem alte zyklopische Bauwerke. Viele bezahlten mit ihrem Leben und die Überlebenden flohen vor den Kreaturen, welche zeitgleich dort auftauchten. Erwil vermutet, dass diese Wesen gezielt alte zyklopische Stätten zerstören. Das ist eine Katastrophe für unsere Arbeit! Jahrzehntelange Nachforschungen werden binnen weniger Monate zunichtegemacht.“ Moraven unterbricht Gwins Bericht. „Woher sollten die Urdefhane wissen, wo sich die alten Gräber der Zyklopen befinden?“, und Kevil füge hinzu: „Und wie sollten sie Berghänge zum Einsturz bringen und Erdbeben heraufbeschwören?“ „Fragen, die ich nicht beantworten kann“, entgegnet Gwin kurz angebunden. Ich gebe zu bedenken, dass die Vermutung doch naheliegt. Schließlich waren es Urdefhane und Daimonen, welche die zyklopischen Runen in dem Hügelgrab auslöschten und eben jene Grabstätte ist vor wenigen Wochen unter ungeklärten Umständen eingestürzt. Gwin nimmt ihre Erzählung wieder auf. „Weil Erwil sich seit geraumer Zeit nicht mehr bei mir gemeldet hat, beschloss ich euch ausfindig zu machen. Denn ihr scheint die Einzige Verbindung zu den Ereignissen zu sein und Erwil erwähnte mehrfach, dass Ihr – Moraven – großes Interesse an der Erforschung alter zyklopischer Geheimnisse gezeigt hättet. Ich arbeite eng mit der Kundschafterloge zusammen und diese vermittelte mir einen Kontakt zu den Kundschaftern in Narlgaard.“ Moraven stellt noch einige Nachfragen zu Gwins Forschungen, doch bald lässt sie sich entschuldigen. Sie ist von der wochenlangen Anreise erschöpft und sucht ein Bett im Eber auf. Wir bleiben ratlos zurück. Wie sollen wir ein Geheimnis lüften, was Erwil zu lüften nicht im Stande war? Und werden wir uns damit nicht mächtige Feinde machen, allen voran Noleski Surtowa?

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Zuletzt von Jakob am Mo Sep 09, 2019 12:24 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet

Jakob

Jakob

5. Tod und Teufel
Die besorgniserregenden Berichte der Halblingsfrau Gwin aus Iobaria haben uns wachgerüttelt. Wir müssen etwas gegen die Urdefhane unternehmen, welche die Niemannhöhen zu kontrollieren scheinen. Seit der Spähtrupp, bestehend aus Eskel, Mareen und einigen ihrer Söldner, die Gegend ausgekundschaftet hat, ist mehr als ein Monat verstrichen. Haben wir nicht gelernt aus unseren Erfahrungen mit Trollen oder dem Nebel des Zwielichtreiches? Wir können die offensichtlichen Gefahren nicht ignorieren, bis sie vor unseren Toren stehen. Wir werden in die Niemannhöhen reisen, Varnburg einen Besuch abstatten und von dort aus in den Süden vordringen, um die Urdefhane zu vertreiben. Zumindest muss es uns gelingen mehr über diese Wesen, den Grund ihres Auftauchens und ihre Pläne herauszufinden.

Neben Eskel, Moraven und Kevil, reisen auch Gwin und Josif mit uns im Phantomstreitwagen in Richtung Varnburg. Während Gwin schnell unser aller Vertrauen gewann, bringt man dem wortkargen Josif mehr Misstrauen entgegen. Eskel musste ein gutes Wort für ihn einlegen. Josif hatte dem verwaisten Eskel in seiner Jugend zu den Grenzern gebracht, einer Vereinigung, welche sich dem Schutze der Bevölkerung Iobarias verschreibt. „Iobaria ist ein riesiger, karger und kalter Landstrich. Die vereinzelten kleinen Siedlungen sind meist nicht in der Lage genug fähige Kämpfer zum Schutze der zivilisierten Völker auszubilden. Immer wieder kommt es zu Überfällen durch Goblinhorden, Ogerbanden, Riesenstämmen oder andere Wilden. Die Grenzer versuchen diese Gefahren einzudämmen – mit durchmischtem Erfolg. Trotz alledem: In Iobaria genießt jeder Grenzer hohes Ansehen. Leider reicht das nicht aus, um den Fortbestand der Zunft zu sichern. Immer wieder kommt es zu Todesfällen und nur wenige sind bereit dieses Risiko in Kauf zu nehmen. Das Leben eines Grenzers ist immer hart und in der Regel kurz.“

Die Gassen Varnburgs liegen weiterhin verlassen da. Friedlich ruht die Siedlung unter einer unberührten Schneedecke. Kein Mensch und kein Urdefhan ist zu sehen. Es ist gespenstisch still. In einer kleinen Hütte schlagen wir unser Lager auf, machen ein Feuer und schrecken dabei eine Mäusefamilie auf. Moraven schlägt vor sich mit Anbruch des morgigen Tages geradewegs in das Gebiet der Urdefhane hineinzubegeben und eine Konfrontation zu provozieren. „Wir müssen herausfinden wo ihr Stützpunkt ist. Unbemerkt schaffen wir das nicht. Wenn wir uns zurückziehen müssen, dann nehmen wir Gefangene und versuchen so an die Informationen zu kommen.“ Eskel schüttelt den Kopf. „Wir werden keine Gefangenen machen. Ein Urdefhan kann jederzeit Suizid begehen. Sie sprengen sich einfach in die Luft und wenn es schlecht läuft, nehmen sie dich gleich mit.“ Also verwerfen wir Moravens Idee und entscheiden im Schutz der Berghänge nach Süden zu reisen. Der nächste Tag ist klar und klirrend kalt. Bereits am frühen Morgen erspähen wir einen Trupp Urdefhane auf Skavelingen in weiter Ferne am Horizont. In den folgenden Stunden beobachten wir immer wieder einzelne Späher oder kleinere Verbände. Wir machen uns keine Illusionen. In der schneeweißen Landschaft wird es uns nicht gelingen uns zu verbergen. Trotzdem reisen setzen wir unsere Reise fort, in das von ihnen kontrollierte Gebiet. Je weiter wir vordringen, desto häufiger sehen wir die fledermausartigen Skavelinge und ihre Reiter. Wenn es so etwas wie einen Stützpunkt geben sollte, muss er sich weiter im Südosten in der Dunkelwachtsteppe befinden. In den ersten Stunden sieht es so aus, als würden die Kreaturen uns meiden, doch schließlich hören wir einige Signalhörner. Jedoch kommen die Geräusche nicht aus östlicher Richtung, von der Bergflanke in unserem Rücken. Wir rüsten uns für einen Kampf. Wenige Sekunden später stürzen sechs Urdefahne auf ihren fliegenden Gefährten über die den Pass geradewegs auf uns zu. Sie sind mit Langbögen bewaffnet. Gwin feuert eine Salve ab und ein erster Skaveling stürzt vom Himmel. Sein Reiter jedoch sinkt, von einem Federfallzauber geschützt, nur langsam zu Boden. Ich bereite mich darauf vor sie mit Zaubern außer Gefecht zu setzen. Doch bevor sie in die Reichweite meines Zaubers gelangen schwirren mir fünf Pfeile entgegen. Präzise durchdringen sie meine magische Rüstung, schlagen in Brust und Beinen ein und werfen mich zu Boden. Zischend entweicht die Luft aus meinen Lungen. Dann wird es schwarz um mich herum.

Keuchend ringe ich nach Luft, ich huste und schmecke Blut. Neben mir kniet die Halblingsfrau und drückt ihre Hand auf meine Verletzungen, während sie die Pfeile, einen nach dem anderen, mit einem heftigen Ruck aus meinem Körper zieht. Dann höre ich eine Detonation. Einer der Urdefhane hat sich dem Schwert Eskels entzogen und seine Gedärme im Schnee verteilt. Eskel flucht laut, doch seine Worte dringen nicht zu mir durch. Josif und Kevil tauchen in meinem Sichtfeld auf und schleifen mich zum Streitwagen. Unsanft werde ich verladen und komme langsam wieder zu mir. Hektisch springen auch die anderen auf. Offensichtlich treten wir die Flucht an. „Was –?“ Vom Schmerz geschüttelt gelingt es mir nicht den Satz zu vollenden. Die Halblingsfrau wirkt noch immer heilende Zauber mit Hilfe eines Stabes. „Ihr seid dem Tod von der Schippe gesprungen. Im Moment des Todes konnte ich Eure Seele davon abhalten den Körper zu verlassen. Wenige Sekunden später und es wäre zu spät gewesen.“ Fünf Pfeile reichten aus, um meinem Körper jegliche Lebensenergie zu rauben. Ich schließe die Augen und spüre wie die Magie die tiefen Wunden verschließt. Die Stimmen um mich herum kann ich nicht zuordnen. „Der Urdefhan, dessen Reittier abgestürzt war, hat sich das Leben genommen. Alle anderen sind entkommen.“ „Sie verstecken sich in den Bergen. Wir können es nicht mit ihnen aufnehmen.“ „Um ein Haar wäre er gestorben!“ Ich falle in einen benommenen Zustand von wirren Tagträumen.

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Wir haben uns verkalkuliert. Einer offenen Konfrontation mit den Urdefhanen sind wir nicht gewachsen. Sie wissen sich zu verteidigen, können uns aus der Entfernung in Schach halten und bevor wir auch nur in die Nähe ihres Stützpunktes kommen werden wir uns Heerscharen von ihnen gegenübersehen. Eine Krisensitzung des Hohen Rates wird einberufen. Angriffspläne werden vorgetragen und verworfen. Wenn wir sie im Kampf nicht schlagen können, so muss es uns gelingen sie auszuspähen. Vor den Urdefhanen werden wir uns mit Magie verstecken können, die Daimonen jedoch bereiten uns Kopfzerbrechen. Sie zu täuschen dürfte deutlich schwerer sein. Die Sitzung zieht sich bis in den späten Abend, doch niemand hat eine zündende Idee. Niemand außer Kevil. In immer kürzeren Abständen wirft er mir verstohlene Blicke zu. Ich ahne was in seinem Kopf vor geht. Als die Sitzung schließlich ergebnislos endet und die Mitglieder des Hohen Rates niedergeschlagen die Halle verlassen, flüstert er mir zu. „Wir sollten unsren kleinen Freund rufen.“ Doch ich schüttele nur resigniert mit dem Kopf. „Man wird ihn entdecken und der erste Pfeil wird ihn niederstrecken. Er kann sich nicht vor den Augen unserer Feinde verbergen.“ Kevil muss eingestehen, dass Granz’Chak wohl tatsächlich nur geringe Erfolgsaussichten hat, aber er so schnell lässt er nicht locker. „Es gibt doch sicherlich Teufel oder andere Externare, die dazu in der Lage sind.“ Nun, da hat er vermutlich recht. Gemeinsam durchforsten wir die Bibliothek und meine privaten Bestände bis tief in die Nacht. In Gedanken versunken und über einen Band der Inneren und Äußeren Sphären gebeugt schrecke ich plötzlich hoch, als Kevil einen Freudenschrei ausstößt und stoße dabei eine Kerze um. Wachs ergießt sich über das Buch und fluchend behebe ich den Schaden mit einer kurzen Formel. Strahlend deutet er auf einen Eintrag in einem Werk über böse Externare. „Phiam, im Volksmund auch Fluchteufel genannt, werden von mächtigeren Teufeln erschaffen, um Sterbliche aufzuspüren, die ihre Seele der Hölle schulden.“ Stirnrunzelnd überfliege ich den Eintrag. »Kleine fliegende Kreaturen, die über natürliche Unsichtbarkeit verfügen« und wenig später »in der Lage in Dunkelheit zu sehen, Magie aufzuspüren und sich jederzeit nach Belieben zu teleportieren.« Das klingt vielversprechend.

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Dass Eskel keine Einwände äußern würde hatte ich erwartet, aber Moravens Zustimmung war keineswegs gewiss. Doch Kevil braucht nicht lange auf den Fürsten einreden. Im Gegenteil: Als der Hexenmeister die Vorzüge eines Fluchteufels aufzählt, ist er begeistert von dem Vorschlag. Vermutlich sind ihm die Risiken und möglichen Folgen derartiger Herbeirufungen nicht bewusst. Jedoch mache ich mir nicht die Mühe ihn darüber aufzuklären. Weshalb die Sache verkomplizieren? Es reicht, wenn ich mir Sorgen mache. Über unsere Experimente mit dem kleinen Gaav lassen wir unsere Freunde weiterhin im Dunkeln. Die einzigen deutlichen Widerworte erhielt ich von Shae. Demonstrativ bleibt sie den ganzen Tag fern. Unter den Augen Kevils und Moravens führte ich die Zauber aus und auch diesmal verläuft alles nach Plan. Der Phiam erscheint, erhält seinen Auftrag und verschwindet, ohne mir die Worte im Mund zu verdrehen. Einige Tage später höre ich den vertrauten geistigen Signalton und begebe mich in den Keller der Hirschfeste. Dort sitzt der rosa gefleckte Fluchteufel und blickt mich aus grünen Augen an. Er scheint nicht verwundet zu sein und beginnt unverzüglich mit seinem Bericht, nachdem ich ihm erneut den kleinen Topas gezeigt habe, welchen ich ihm als Belohnung für seine Dienste in Aussicht gestellt habe. Der Teufel berichtet von mehreren hundert Urdefhanen und überreicht mir die Karte, die ich ihm mitgegeben habe. Dort hat er das Gebiet umrissen, welches die Externare beanspruchen. „Was hast du dort gesehen?“, frage ich und deute dabei auf eine Markierung in der Dunkelwachtsteppe, etwa dreißig Meilen östlich der Duergarfeste. „Dreckige Daimonen. Lassen hässliche Urdefhane und erbärmliche Menschen arbeiten.“ Weil ich mit der Schilderung des Phiam nicht viel anfangen kann, dringe ich in seinen Geist ein und bediene mich seiner Erinnerungen. Ich sehe eine Landschaft voller scharfkantiger Felsen: Die nördlichen Ausläufer der Türme von Levenies. In der Ferne wuseln Kreaturen herum und am Himmel sind einige Skavelinge zu sehen. Auf einmal bin ich viel näher am Geschehen. Überall nimmt der Teufel magische Auren wahr. Ein erneuter abrupter Ortswechsel. Einige gebückt gehende Menschen roden einen Wald. Sie scheinen in der Tat entkräftet und ausgezehrt zu sein. Wieder ein neues Bild. Urdefhane bearbeiten Felsbrocken mit grobschlächtigen Werkzeugen. Das gesamte Areal gleicht einer gewaltigen Baustelle. In der Ferne werden Gräben ausgehoben. Zwischen den Arbeitenden sind immer wieder Daimonen in unterschiedlichen Erscheinungsformen zu sehen, welche offensichtlich als Aufseher fungieren. Besonders auffällig ist ein großer Aussichtsturm, von welchem sich das gesamte Areal überblicken lässt. Dann verblassen die Erinnerungen und ich blicke wieder durch meine eigenen Augen. Der Edelstein in meiner Hand verschwindet und mit ihm der Teufel. Er hat seinen Dienst geleistet.

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Umgehend warnen wir Panje Scuderi, die Botschafterin der Schwertherren, setzen uns mit unserem Botschafter Konrad Grom’Kul in Restov in Verbindung und treffen bereits am nächsten Tag hochrangige Aldori in Restov zu einem Krisengipfel. Über den Toren des Rathauses ragen noch immer die mächtigen Hauer Schlitzzahns in den Himmel. Ein Geschenk, welches wir dem damaligen Bürgermeister Jomani Surtowa machten. Die Aldori haben sich alle Mühe gegeben die Spuren von über zweihundert Jahren Knechtschaft zu beseitigen, doch diese Trophäe scheinen sie übersehen zu haben. Empfangen werden wir von Lea Ianucchi, die Bürgermeisterin Restovs und Kopf der Aldori Schwertherren und einer schlanken, dunkelhaarigen Frau, die sich als „Emissärin Felicia Ianucchi“ vorstellt. Es handelt sich um die jüngere Schwester Leas. Ebenfalls anwesend ist Herr Grom‘Kul, der alle Anwesenden um mindestens einen Kopf überragt. Unsere Delegation besteht aus Moraven, Eskel, Kevil, Gwin, Frau Scuderi und meiner Wenigkeit.

#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Lea_ia10

Wir kommen sofort zur Sache, berichten von den Urdefhanen und Daimonen in den Niemannhöhen und den besorgniserregenden Erkenntnissen über die Errichtung von Befestigungsanlagen im Südwesten Restovs. Die Vertreterinnen der Aldori sind zutiefst geschockt von unserem Bericht und im Verlauf des Gesprächs wird deutlich, dass sie nicht einmal wissen mit welchen Kreaturen sie zu tun haben. Offenbar hatten sie bis eben keine Kenntnis von den Urdefhanen, welche seit Monaten die Dunkelwachtsteppe durchstreifen. Ihr Lager befindet sich keine achtzig Meilen entfernt. Das Verschwinden der Bewohner Varnburgs im Frühjahr dieses Jahres scheint sie keineswegs beunruhigt zu haben. Über eine solche Unachtsamkeit kann ich nur den Kopf schütteln. Nachdem wir ihnen erläutert haben, dass es sich bei den Kreaturen um Externare handelt, Wesen, welche einer anderen Existenzebene entstammen und denen kein einfacher Soldat gewachsen ist, geben die Ianucchis sich resigniert. „Was sollen wir schon tun?“, fragt Lea und ihre Schwester fügt hinzu: „Derzeit scheinen sie nicht darauf aus zu sein anzugreifen.“ Auch Moraven ist fassungslos und redet auf die beiden ein. Er erklärt ihnen, dass in Iobaria Ortschaften überfallen werden und eine gesamte Stadt dem Erdboden gleich gemacht wurde. „Sie bereiten sich auf einen Krieg vor!“ „Habt ihr nicht eben gesagt, dass Soldaten diesen Wesen nichts gewachsen seien?“, entgegnet Lea. „Zurzeit scheinen diese Kreaturen zu mächtig, als dass wir gegen sie vorgehen können. Außerdem wissen wir noch gar nicht, ob sie uns feindlich gesonnen sind.“ „Sobald Ihr es herausfindet, dann ist es zu spät“, bemerkt Eskel trocken. Moraven hat noch nicht aufgegeben. „Ich rede nicht von einem einzelnen Soldaten. Wir müssen uns zusammenschließen, gemeinsame Armeen mobilisieren, die Adelshäuser um Hilfe bitten.“ Aber Lea winkt ab. „Der brevoysche Adel wird keinen Finger rühren. Und ich werde die Surtowas nicht bitten mit ihren Soldaten erneut in Restov einzumarschieren.“ Ihre Schwester fügt hinzu. „Wir können keine mehrere tausend Mann starke Armee in wenigen Tagen auf die Beine stellen. Ich nehme an, dass auch die Mittel Riviens begrenzt sind. Aber wir werden uns vorbereiten, Spähtrupps aussenden, die Grenzen befestigen.“ „Jedoch werden wir die Bürger Restovs nicht informieren.“, fällt die Schwester ihr ins Wort, „Ich will nicht, dass eine Panik ausbricht.“ Wir vereinbaren ab sofort regelmäßige Treffen in zweiwöchigem Abstand abzuhalten und uns jederzeit über neue Erkenntnisse mittels unserer Botschafter in Kenntnis zu setzen.

Moraven ist von dieser Begegnung schwer enttäuscht, doch was haben wir uns erhofft? Wir können nicht einmal eine hundert Mann starke Truppe bereitstellen. Haben wir erwartet, dass Restov uns die Arbeit abnimmt? Doch etwas blauäugig schien die Anführerin der Aldori doch zu sein. Sie macht denselben Fehlen, den wir damals gemacht haben. Sie hofft, dass sie einfach ignoriert wird. Doch sind es in diesem Fall keine Trolle, sondern Externare, welche unsere Städte bedrohen. Nun müssen wir uns die Frage stellen, ob wir ohne die Unterstützung Restovs bei den Adelshäusern vorsprechen, um sie von einem gemeinsamen Vorgehen zu überzeugen. Aber was können wir ihnen bieten? Keines der Häuser ist scheint einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt. Weshalb sollten sie Rivien oder den Schwertherren zur Hilfe eilen? Eskel bringt einen neuen Gedanken ins Spiel. „Sollten wir den König in Kenntnis setzen? Er könnte ein Interesse an der Verteidigung Brevoys haben. Und ist Rivien in seinen Augen nicht auch ein Teil Brevoys?“ Doch der Vorschlag findet wenig Zustimmung. Nicht einmal Eskel ist nicht so recht davon überzeugt. Insbesondere Moraven lehnt es ab Noleski zu informieren. „Er will Erwil in die Finger bekommen und somit offenbar etwas verschleiern, was auch den Daimonen ein Dorn im Auge ist: Die Zeugnisse zyklopischer Hochkultur.“

6. Franziska Medwjed
Zu unserer aller Überraschung kündigt sich eine Delegation der Medwjeds an. Vielleicht tragen Kevils Bemühungen um vertiefte Beziehungen zum brevoyschen Adel erste Früchte. Franziska, die Nichte des Fürsten Gurev Medwjed, reist mit einer Garde an und wird vom Hohen Rat unmittelbar nach ihrer Ankunft in Empfang genommen. Denn anstatt sich von der strapaziösen Reise auszuruhen, zieht sie es vor direkt den Fürsten zu sprechen. Ihre Nase ist noch von der Kälte gerötet, als sie die Hallen der Hirschfeste betritt. Die junge Frau tritt vor und begrüßt Moraven selbstbewusst mit einem bezaubernden Lächeln und anschließend die restlichen Mitglieder des Hohen Rates, bevor wir zu Wort kommen und sie willkommen heißen. Nachdem ein wenig geplaudert wurde, man ist sich bereits an meinem Hochzeitsfest über den Weg gelaufen, kommt sie auf das Anliegen ihres Besuches zu sprechen. „Das Haus Medwjed ist besorgt über die jüngsten Ereignisse. Der Konflikt zwischen dem Hause Lodowka und Orlowski schwelt. Die Aldori sträuben sich noch immer gegen den Einfluss der herrschenden Surtowa. Die ohnehin labile Gemeinschaft Brevoys scheint in diesen Zeiten gefährdet zu sein. Wir, das Haus Medwjed, haben uns lange beraten und diskutiert wie wir uns positionieren wollen. Wie ihr sicherlich wisst, agieren wir stets zurückhaltend, ausdauernd, wohl überlegt, aber keineswegs reaktionär. Dies sind Eigenschaften, die wir in der öffentlichen Repräsentation des Hauses Riva wiedergefunden haben.“ Ich triumphiere innerlich. Zum ersten Mal hat eine Vertreterin des brevoyschen Adels uns als eigenständiges Adelshaus neben den anderen altehrwürdigen Häusern genannt. „Und tatsächlich vergleiche ich euch mit der Willkür eines Noleski Surtowa, dem Jähzorn einer Natala Surtowa, dem Wahnwitz eine Grafen Drago Orlowski, der Naivität eines Kozek Lodowka oder der Überheblichkeit einer Saronna Lebeda.“ Bei der Beleidigung ihres Vaters zuckt Mina neben mir kurz zusammen. „Von den Garess möchte ich gar nicht erst sprechen. So scheint es mir, dass der Samen der Vernunft“, sie untermalt ihre Worte mit einer ausladenden Geste, „ein wenig abseits von Brevoy erste Wurzeln austreibt. Man hat sich dazu entschlossen mich hierher zu senden, als Abgesandte des Hauses Medwjed, um langfristige diplomatische Beziehungen aufzubauen. Wir wollen die Stabilität Brevoys auch in Zukunft gewährleisten. Der Eindruck, der sich uns ergeben hat ist, dass dies Interessen sind, welche das Haus Riva nicht weniger wertschätzt als das unsere.“

#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Franzi11

Eine wohltuendere Lobesrede hätte wohl niemand von uns verfassen können. Doch sind das tatsächlich die offiziellen Positionen des Hauses Medwjed? Oder will uns die Frau nur Honig ums Maul schmieren? Kevil neben mir muss leise kichern und beugt sich zu mir herüber. „Ist dir aufgefallen wie sie Moraven anschmachtet?“ Ich muss zugeben, dass mir dies entgangen ist. Jetzt bemerke auch ich, dass Franziska nur Augen für den Fürsten hat. Der ist gerade im Begriff die schmeichelnden Worte zu erwidern. „Stabilität und Friede waren stets die Ziele unseres Hauses und es freut uns zu sehen, dass wir damit nicht alleine stehen“, und auch ich gebe etwas des Lobes an die Abgesandte zurück. „Es ist bewundernswert, wie das Hause Medwjed es schafft einen Ausgleich zwischen den konträren Interessen der Adelshäuser zu finden. Euer Wahlspruch »Ausdauer überwindet alles« dient uns als Inspiration.“ Franziska regt einen Austausch von Diplomaten an, einhergehend mit einem regen Informationsaustausch, um Gefahren für den Frieden Brevoys vorzeitig zu erkennen und einem Bürgerkrieg vorbeugen zu können. Nichts spricht gegen eine solche Vereinbarung. Die Medwjeds werden von allen Häusern für ihr besonnenes und vorausschauendes Handeln geschätzt. Jedoch sind sie nicht nur geographisch, sondern auch in ihrer politischen Einflussnahme häufig außen vor. Weder ihr ökonomischer noch ihr militärischer Einfluss ist besonders groß und nur in den seltensten Fällen mischen sie sich ein oder ergreifen Partei. Vielleicht ist die Uneindeutigkeit, die Weigerung einer Positionierung ihre charakteristischste Eigenschaft. Ein Bündnis mit den Medwjeds wird uns keine Hilfe sein, wenn wir in einen Krieg hineingezogen werden und auch wirtschaftlich werden wir wohl nicht sonderlich profitieren. Aber treten wir damit auch niemandem auf die Füße. Noch haben wir uns keine Gedanken gemacht, wen wir als Botschafter nach Steinstieg schicken könnten, werden dies aber umgehend nachholen.

Neben dem Angebot der Zusammenarbeit hat Franziska aber noch höchst brisante Informationen, welche ursprünglich wohl nicht für unsere Ohren gedacht waren. Rufus Matthäus Surtowa, Diplomat des Hauses und enger Vertrauter Natala Surtowas, hat vor kurzem die Vertreter verschiedener Adelshäuser nach Eishafen eingeladen. Offenkundig waren die Andeutungen Christine Balgators, der Abgesandten aus Pitax, nicht lediglich der Versuch Missgunst zu sähen, sondern entsprachen der Wahrheit. „Themen waren unter anderem der Konflikt zwischen Lodowkas und Orlowskis. An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass Vertreter der Orlowskis zugegen waren, die Lodowkas jedoch keine Einladung erhielten. Das ist doch recht ungewöhnlich, da das Verhältnis der Häuser Surtowa und Orlowski in dem vergangenen Jahrzehnt sehr angespannt war.“ Sie spielt darauf an, dass sich die Orlowski nach dem Verschwinden des Herrschergeschlechts dafür aussprachen den Thron unbesetzt zu lassen. Sie machen keinen Hehl daraus, dass sie Noleski nicht als rechtmäßigen Erben des Drachenschuppenthrons betrachten, wohl weil sie gute Beziehungen zu den Rogarvias unterhielten und lange auf eine Rückkehr hofften. „Doch eines der Hauptgesprächsthemen dieser Tagungen wart tatsächlich ihr, das aufstrebende Rivien. Das wird wohl auch der Hauptgrund gewesen sein die Lodowkas außen vor zu lassen. Der enge Bund zwischen den beiden Adelshäusern könnte der Diskretion im Wege stehen. Ich hoffe ihr wisst diese Informationen deshalb zu schätzen.“ Moraven versichert der Abgesandten kein Wort über dieses Gespräch zu verlieren. „Weshalb sollten wir der Grund für solche Aufregung sein?“ Franziska muss unwillkürlich lachen. „Hier im Süden seid ihr ein strategisch interessanter Verbündeter für viele der Adelshäuser. Vielleicht derzeit nicht gefährlich, aber die Entwicklungen hier sind rasant. Einige der Bewohner Brevoys sind besorgt, insbesondere jene, welche über die Macht verfügen so weitsichtig handeln zu können. Für Viele seid ihr eine Wundertüte. Man bring euch sowohl Bewunderung als auch Misstrauen entgegen. Rufus Matthäus Surtowa jedoch sieht in euch offenbar eine Gefahr. Fürst Gurev schickte meinen Cousin Thomas nach Eishafen, doch der zeigte leider wenig Verhandlungsgeschick. Ihm missfiel das Vorgehen der Surtowas hinter verschlossenen Türen mit den Parteien einzeln zu verhandeln. Von diesen Spielchen wollte er nichts wissen. Es kam zu einem Konflikt und er reiste vorschnell ab. Mein Onkel war nicht begeistert und entschied daraufhin außenpolitisch aktiv zu werden. Ganz offensichtlich bahnt sich etwas an. Nach langen Überlegungen seid ihr auf der Liste möglicher Verbündeter recht weit oben.“ Das Vertrauen, welches Fürst Gurev uns entgegenbringt ehrt uns, doch machen wir uns Sorgen angesichts des Vorgehens der Surtowas. Unterstützen sie Drago Orlowski in einem möglichen Krieg gegen die Lodowkas? Handelt Rufus Matthäus Surtowa im Sinne des Königs oder auf eigene Faust, wie es auch Jomani seit geraumer Zeit zu tun scheint? Und werden Bündnisse gegen uns hinter verschlossenen Türen geschmiedet?

Neben dem Austausch von Botschaftern sichern wir einen regelmäßigen Informationsaustausch auf hoher Ebene zu. Monatlich soll eine Delegation nach Steinstieg reisen, um sich persönlich mit Vertretern der Medwjeds zu treffen. Als Moraven dies ohne vorherige Absprache zusagt, muss ich meinen Missmut verbergen. Von wem spricht er eigentlich? Ich bin als einziger in der Lage solch weite Strecken auf magische Weise zu überbrücken. Selbstverständlich halte ich eine solche Vereinbarung für lohnenswert, doch möchte ich, dass der Fürst doch wenigstens zuvor meine Zustimmung zu derartigen Versprechungen einholt. Franziska Medwjed wird in dem Herrenhaus untergebracht, in welchem auch die Botschafterin aus Restov residiert. Wenige Tage später haben wir auch einen Diplomaten gefunden, welcher als Abgesandter Riviens nach Steinstieg reist. Akiros Ismort hat sich bereit erklärt den Elchtempel zu verlassen und diese prestigeträchtige Aufgabe zu übernehmen.

7. Kai Radov
„Herr Magister, der Fürst wünscht um Ihre Anwesenheit in der Hirschfeste.“ Es ist früh am Morgen, nicht die Zeit in welcher Moraven bevorzugt eine Ratssitzung einberuft. Gemeinsam mit Shae mache ich mich auf den Weg durch die verschneiten Gassen Narlgaards. Der Rat ist bereits fast vollzählig. Als ich die Halle betrete, nimmt Moraven mich zur Seite. „Benedikt Tropki hat einen gewissen »Kai Radov« angekündigt. Ich habe den Namen schon einmal gehört -“ „Aus dem Munde Jomanis“, beende ich seinen Satz. „Kai Radov ist der Mann, welcher bei Jomani die ominösen Waffenlieferungen in Auftrag gab.“ Moraven wirkt nachdenklich. „Was könnte er von uns wollen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Finden wir es heraus.“ Herr Radov wird hereingebeten und es erscheint eine Gestalt, die mit allen Erwartungen bricht, welche ich an einen Söldnerführer habe. Ein in Gewänder gekleideter, bärtiger Mann betritt den Raum. Sein Haupt ist in einen Turban gewickelt. Seine Augenpartie ist dunkel geschminkt und mit Verzierungen versehen, was ihm etwas Edles und zugleich Geheimnisvolles verleiht. „Gûl“, murmle ich, wie ich es stets zu tun pflege und binnen weniger Sekunden wird ein zweites Mal mit meinen Erwartungen gebrochen. Keine einzige magische Aura nehme ich war. Irritiert lege ich die Stirn in Falten. Dieser Herr wird wohl kaum ohne jeglichen magischen Schutz unsere Hallen betreten. Verbirgt er die ihn umgebenden Auren, wie es Grigori tat? Mein Gefühl sagt mir sofort, dass an diesem Herrn etwas falsch ist.

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Nach seinem Begehr gefragt spricht er mit ruhiger, bestimmter Stimme. „Noch vor dem Beginn des nächsten Jahres wird ein Heer aus zweitausend Soldaten Dreistrom erreichen. Wir werden diese Lande durchqueren und über den Varnburgpass wieder verlassen. Ich bin nicht vertraut mit den Gepflogenheiten dieser Region. Bedarf es dafür Passierscheine? Selbstverständlich bin ich bereit einen angemessenen Preis zu zahlen, falls das nötig ist.“ Ausnahmslos alle Mitglieder des Hohen Rates sind von dieser Ankündigung mehr als überrascht. Zweitausend Soldaten? Wer sind sie, woher kommen sie und wohin wollen sie? Mit eben jenen Fragen konfrontiert Moraven Kai Radov. Doch der weicht aus. Es handle sich um Söldner, sie kämen aus dem Süden und wollten in den Norden. „Der Norden ist groß.“ Moraven gibt ihm zu verstehen, dass wir etwas detailliertere Angaben wünschen. Er gibt nicht klein bei, bis Kai Radov den Namen »Iobaria« fallenlässt. „Was könntet Ihr in Iobaria mit einem Söldnerheer wollen?“ Kai Radov wischt die Frage weg, wie eine lästige Fliege. „Das ist gänzlich meine Angelegenheit.“ Trotz vieler Nachfragen gibt er sich weiterhin betont freundlich. „Bitte versteht dies nicht als einen Versuch der Einschüchterung. Zweitausend Soldaten vor der eigenen Haustüre …“ Es folgt eine theatralische Pause, in welcher er uns die Gelegenheit gibt, uns das Ausmaß eines solchen Heeres vorzustellen. „Ich biete euch zehntausend Goldmünzen für die damit verbundenen Unannehmlichkeiten“ Moraven zeigt sich wenig begeistert. „Was gedenkt ihr zu tun, wenn wir das Angebot ablehnen?“ Kai Radov zieht die Augenbrauen hoch. „Daran habe ich keinen Gedanken verschwendet. Ich war davon überzeugt, ihr würdet die Goldmünzen nehmen, die ich euch anbiete. Ich befürchte Ihr habt mich missverstanden. Dies ist keine Bitte, sondern ein Angebot. Ich werden zehntausend Goldmünzen zahlen und passieren. Solltet ihr ablehnen werde ich nicht zahlen – und passieren.“

Ich spüre den Unmut meiner Freunde und versuche das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Ich frage nach Jomani Surtowa, welcher mich mit meinen Fragen damals an Herrn Radov verwies. Zu meiner Überraschung jedoch gibt dieser vor Jomani nicht zu kennen. Eine offensichtliche und zugleich unnötige Lüge, welche mir diesen Herren noch suspekter werden lässt. Einem spontanen Einfall folgend erzeuge ich das Trugbild eines Urdefhan. „Diese Kreaturen treiben östlich des Varnburgpasses ihr Unwesen. Seid ihr solchen schon einmal begegnet?“ Kai Radov schenkt der Illusion nur einen flüchtigen Blick. „Ich habe solche Wesen noch nie gesehen. Es ist sehr freundlich von Euch uns zu warnen. Aber ihr braucht Euch keine Gedanken um die Gesundheit meiner Männer zu machen. Wir können uns gut selbst verteidigen.“ Wie ich es auch schon bei den Aldori getan habe, so gebe auch ich ihm einen Ratschlag. „Solltet Ihr ihnen begegnen, so werden euch gesegnete Waffen und Silber weiterhelfen.“ Ein verschlagenes Lächeln huscht über sein Gesicht. „Wir sind gut ausgerüstet. Unsere Waffen schneiden mit Silber ebenso gut wie sie mit Stahl schneiden.“ Er wirft einen Blick in die Runde. „Ich sehe, dass ihr euch beraten wollt und will euch die Gelegenheit dazu geben.“ Ohne ein weiteres Wort des Abschieds macht er auf dem Absatz kehrt und rauscht aus der Halle.

„Warum hast du den Kerl gewarnt?“, will Eskel wissen. „Moraven war gerade im Begriff den Führer eines zweitausend Mann starken Söldnerheeres gegen uns auf zu bringen. Ich dachte da könnten einige wohlwollende Worte nicht schaden.“ Kevil versucht sich unterdessen Gehör zu verschaffen. „Ist das nicht die Gelegenheit, auf die wir gewartet haben? Er will eine riesige Armee über den Pass schicken. Was, wenn sie dort zufällig auf die Urdefhane treffen?“ Magni ist empört von diesem Vorschlag. „Ihr wollt doch nicht etwa zweitausend Unschuldige in den Tod schicken?“ „Habt Ihr nicht zugehört? Sie sind doch anscheinend gut ausgerüstet. Ich habe nicht an ein Massaker an den Soldaten gedacht, sondern gehofft, sie könnten sich der Urdefhane und Daimonen annehmen. Kai Radov hat die Armee, welche wir brauchen.“ „Und wie sollen wir das anstellen? Die Urdefhane zur Varnburg locken?“ Doch weil auch Kesten und Moraven sich gegen diesen Vorschlag aussprechen wird die Idee nicht weiterverfolgt. „Er hat gelogen“, wirft Gwin ein. „Er hat die Kreaturen erkannt. Was, wenn er mit den Urdefhanen unter einer Decke steckt?“ Doch in der Diskussion über unser weiteres Vorgehen, gehen ihre Bedenken unter. Obwohl wir offensichtlich keine Wahl haben, zeigen einige Ratsmitglieder Widerstand, als es darum geht das Geld Kai Radovs anzunehmen. Ich führe ihnen vor Augen, dass es völlig zwecklos ist die Armee aufhalten zu wollen. Schließlich ringen wir uns dazu durch, ihm die Passierscheine auszustellen. Was bliebe uns auch anderes übrig?

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Es vergehen zwei Tage bis Herr Radov sich erneut in Narlgaard einfindet. In der Zwischenzeit haben wir sowohl die Schwertherren als auch die Medwjeds über die Vorgänge unterrichtet. Die Aldori zeigten sich angesichts des riesigen Heeres, welches Restov gefährlich nahekommt, stark verängstigt. Als Kai Radov die Große Halle betritt, rechnen alle mit einem schnellen Übereinkommen, doch Moraven wäre nicht er selbst, wenn er nicht nur Kai Radov, sondern auch alle anderen Anwesenden mit spontanen Forderungen überraschen würde. „Herr Radov, wir werden ihren Söldnern die Passierscheine ausstellen. Sie werden Rivien auf einer von uns festgelegten Route durchqueren und über den Varnburgpass wieder verlassen. Dafür werden wir Ihnen freundlicherweise Ortskundige bereitstellen, welche ihre Truppen mit dem Betreten unserer Lande und weitere zwei Tagesmärsche bis hinter den Pass begleiten.“ Kai Radov scheint dem nichts entgegensetzen zu wollen. „Wir sind Euch dankbar, dass Ihr für unsere Sicherheit garantiert.“ „Eine Frage hätte ich noch“, setzt der Fürst an. „Was würde es uns Kosten eure Männer in Anspruch zu nehmen?“ Kai Radov muss schmunzeln. „Ich bin nicht in Anspruch zu nehmen. Ich verfolge meine eigenen Interessen und bin weder auf der Suche nach Gold und Silber noch nach Ruhm und Ehre.“ „Also ist dieser kleine Heerzug euer Privatvergnügen?“ „Dem ist so.“ Kai Radov streckt Moraven seine knochige Hand entgegen. Die Haut ist spröde und rissig. Moraven ergreift sie und besiegelt so die Vereinbarung.

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Wie angekündigt erreicht das Söldnerheer Kai Radovs Dreistrom noch vor Neujahr. Besorgt blicken wir in die Ferne und sehen, soweit das Auge reicht, Männer in Stahl. Sie marschieren in einer Reihe und machen nicht Halt, als sie in Rufnähe des Weilers vorbeimarschieren. Ein bereits ergrauter Mann tritt aus den Reihen hervor. Er ist in einen schwarzen Fellmantel gehüllt. An seinem Gürtel ist ein schlankes Bastardschwert befestigt, dessen Knauf zu einem Bärenkopf geformt ist. Auf seinen Schultern sitzt ein Rabe und blickt uns forsch aus dunklen Augen an. Gut ein halbes Dutzend Meter vor uns bleibt er stehen und mustert uns. Es vergehen viele Augenblicke, in denen nur der gefrierende Atem unseren Münden entweicht. „Seid Ihr es, die uns begleiten wollt?“ Seine Stimme ist dunkel, ein lautes Brummen wie aus der Kehle eines Tieres. Eskel macht einige lange Schritte auf ihn zu und streckt ihm seine Hand entgegen. „Eskel von Riva, Landvogt Riviens.“ Sein Gegenüber macht keine Anstalten den Handschlag zu erwidern. „Wie vereinbart werde ich euch begleiten.“ Er lässt die ausgestreckt Hand wieder sinken. Der Rabe legt den Kopf schief und hüpft von einer Schulter auf die andere. Sein Herr jedoch sieht Eskel unverwandt in die Augen und in seinem Gesicht ist keine Regung auszumachen. Wieder lässt er einige Momente verstreichen, ehe er sich erneut zu Wort meldet. „Dima Soljefz. Ich bin der Kommandant und ich mache hier die Regeln. Du wirst an meiner Seite bleiben. Und du wirst nicht mit den Männern sprechen.“ Bevor Eskel etwas darauf erwidern kann macht er kehrt, um sich wieder dem endlosen Zug von Söldnern anzuschließen. Während er im Schneegestöber verschwindet hören wir den Raben auf seiner Schulter krächzen: „Ich mache hier die Regeln.“

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Seither nehme ich täglich Kontakt mit Eskel auf. Mittels eines Zaubers übermittelt er mir den Aufenthaltsort und Neuigkeiten von der Prozession durch unser Fürstentum. Sie nehmen wie vereinbart die Gudrin-Furt und marschieren entlang des Würgers in Richtung Osten. Den Höfen und Fischersiedlungen auf ihrem Weg weichen sie aus, doch lässt es sich nicht vermeiden, dass ab und an einige Schaulustige sich in die Nähe der Söldner wagen. Diese Gelegenheit nutzt Rahel, um sich, getarnt von Illusionszaubern, unter die Männer zu mischen. Ihre Waffen und Rüstungen wirken wahllos zusammengestellt. Versilberte Klingen tragen sie nicht bei sich, was Eskel ruhiger schlafen lässt. Zwar geben die meisten sich wortkarg wie ihr Kommandant, aber Rahel erfährt, dass sie alle in den Flusskönigreichen rekrutiert wurden, einige im nahe gelegenen Mivon. Wo es hingeht? Das scheint niemand von ihnen zu wissen. Ihr Interesse gilt allein ihrem Sold, der ausgesprochen hoch ausfällt. Am 10. Pharast erreicht das Heer den Varnburgpass, zwei Tage später nächtigen sie in Varnburg. Am kommenden Morgen wird Eskel von Dima Soljefz mit deutlichen Worten aufgefordert umzukehren, wie es die Vereinbarung vorsieht. Selbstverständlich gibt Eskel sich kooperativ, doch ist es ihm ein Leichtes das riesige Söldnerheer aus der Ferne zu beobachten. Die Urdefhane gehen ihnen aus dem Weg, am Himmel sind sie und ihre Skavelinge nicht zu erspähen. Es vergehen einige Tage, in welchen sich nichts Sonderbares zuzutragen scheint, doch eines Abends erhalte ich von Eskel folgende Botschaft. „Sie haben ihre Route geändert und marschieren nach Süden. Wenn unsere Aufzeichnungen stimmen, dann werden sie früher oder später auf das Lager der Urdefhane treffen.“

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Sofort teleportiere ich mich gemeinsam mit Shae und Moraven zur Varnburg. Eskel trifft einige Stunden später ein. Es ist bereits tiefe Nacht und eisige Winde peitschen über die Hochebenen, aber der Alchemist trägt lediglich seinen üblichen Mantel. Die Kälte kann ihm nichts anhaben. Erneut berichtet er von seinen besorgniserregenden Beobachtungen. Wir müssen in Erfahrung bringen was dort in der Dunkelwachtsteppe vor sich geht. Moraven schlägt vor erneut einen Teufel kundschaften zu lassen, doch Shae widerspricht heftig. Stattdessen will sie das Söldnerheer im Blick behalten. Erst als Eskel mehrfach versichert, dass auch die Urdefhane ihre Kundschafter angesichts des nahenden Heeres zurückgezogen haben, willige ich ein. Noch vor dem Morgengrauen folgen wir den unübersehbaren Spuren von zweitausend schwer beladenen Soldaten durch die matschigen Hügel der Dunkelwachtsteppe. Einige ungemütliche Tage verbringen wir so in dieser unwirtlichen Einöde und beobachten den vor sich hin kriechenden Zug. An manchen Tagen ist jedoch nichts zu sehen. Bei Schneegestöber droht man sich im eigenen Lager zu verlaufen. Dann bin ich auf Shaes Berichte angewiesen, welche jederzeit telepathisch mit mir in Kontakt steht. Am Vormittag des 21. Abadius höre ich plötzlich Shaes aufgeregte Stimme in meinem Kopf. „Die Urdefhane kommen!“ Gespannt rufe ich nach Moraven und Eskel und wiederhole jedes Wort, welches Shae mir übermittelt. „Die Männer ziehen ihre Waffen nicht. Die Männer laufen einfach weiter. Jetzt machen sie eine Gasse. Nein, nicht die Männer, die Urdefhane! Die Männer müssen vorbereitet worden sein. Die Männer fangen an ihre Behausungen im Urdefhanenlager aufzuschlagen.“ Moravens Züge entgleiten ihm zusehends, während Eskels Mine wie versteinert ist. Nach einer kurzen Pause meldet sich Shae erneut zu Wort. „Da hinten kommt etwas. Das sieht merkwürdig aus. Das könnte ein Daimon sein.“ „Shae!“, warne ich sie eindringlich, „Shae, sieh zu, dass du von dort wegkommst. Sofort!“

Ohne Umschweife bringe ich uns alle wieder zurück in die Hirschfeste und umgehend wird eine Krisensitzung des Hohen Rates einberufen. Shae schildert ihre Beobachtungen erneut den anderen Ratsmitgliedern. Ernüchtert stellt Gwin fest: „Ich habe es von Anfang an geahnt. Dieser Kai Radov und die Urdefhane machen gemeinsame Sache.“ Moraven ist fassungslos. „Er hat mir sein Wort gegeben. Er sagte sie ziehen nach Iobaria.“ „Ein Eidbrecher!“, theatralisch stemmt Eskel Hände in die Hüften. „Dann können wir zumindest sicher sein, dass Kai Radov kein Teufel ist.“ Ansonsten ist niemand zu Scherzen aufgelegt. „Kai Radov, Kai Radov.“ Moraven spricht mehr zu sich selbst, als zu uns. „Kai Radov. Der Name kommt mir bekannt vor. Schon als er hier vor uns stand und sich vorstellte, meinte ich den Namen zu kennen.“ „Ihr seid ihm schon einmal begegnet?“, fragt Kevil den Fürsten doch der verneint. Ich erinnere den Fürsten abermals, dass Jomani uns seinen Namen nannte, als es um die Waffenlieferungen ging. „Nein, das ist es auch nicht. Ich erinnere mich kaum mehr an Jomanis Worte“ „Meint Ihr mein Onkel hat seine Finger im Spiel?“, fragt Kevil. Magni nimmt den Gedanken auf. „Vielleicht will er sich an den Schwertherren rächen und Restov überfallen.“ Ich höre nur noch mit halbem Ohr zu. Kai Radov. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. „Ein Anagramm!“ Rahel sieht mich fragend an. „Ein was?“ „Sein Name! Vertauscht man seine Buchstaben …“ Mit einigen schnellen Handbewegungen lasse ich ein Trugbild vor den Ratsmitgliedern in der Luft erscheinen. »Kai Radov« prangt dort in großen, gelb-leuchtenden Lettern. Dann wirbeln die Buchstaben umher und plötzlich schwebt dort ein anderen, uns allen bekannter Name: »Vordakai«

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8. Der Fall Restovs
Wir sitzen in der großen Halle beisammen und lachen über einen Scherz Moravens. Das ursprüngliche Anliegen unserer Zusammenkunft haben wir längst aus den Augen verloren. Wieder ist der Versuch gescheitet mit Hilfe von Gwin Licht in das Rätsel rund um Kai Radov und Vordakai, die Urdefhane und Daimonen, Noleski Surtowa und Erwil Pendrot zu bringen. In diesem Moment hastet Panje Scuderi in den Saal. Ihr Kopf hat die Farbe eines reifen Apfels angenommen, sie ist außer Atem und aufgelöst. Aus ihren verschwitzten Fingern schält sie einen zerknüllten Zettel, deutet darauf und ringt nach Worten. Moraven bietet ihr einen Schluck Wasser an, doch sie nimmt davon keine Notiz. Als er den Zettel entgegennimmt und die wenigen Zeilen überfliegt, zeichnen sich Sorgenfalten auf seiner Stirn ab. Unruhe keimt in mir auf. Ich erhebe mich, um ebenfalls einen Blick auf das Schriftstück zu werfen. Dort steht in krakeliger Handschrift geschrieben:

Nachricht aus Restov schrieb:10. Pharast
Restov ist gefallen, niemand ist mehr hier
Hilfe
Am kleinen Markt 28

Panje erkennt die Handschrift Felicia Ianucchis wieder. Sie und Konrad Grom’Kul haben den Brief unterzeichnet. „Das ist zwei Tage her!“, keucht sie. „Eine Amsel brachte ihn an mein Fenster. Wir müssen sofort nach Restov aufbrechen.“ Ich versuche zu begreifen, was die Nachricht bedeuten könnte. Restov gefallen, wie kann das sein? Etwa angegriffen von dem Heer Kai Radovs? Ausgeschlossen! Noch gestern sprach ich mit Vladimir Gujev, dem von mir verzauberten Söldner. Sie haben ihre Lager nicht abgeschlagen. Erwartungsvoll sieht Panje mich an. „Könnt ihr uns nicht dorthin teleportieren? Ich habe gehört –“ „Dieser Ort ist mir unbekannt.“ Nachdenklich streiche ich mit meinen Fingern über die Adresse. Aber ich kenne ein Gasthaus, den »Auerhahn«, der müsste sich in der Nähe befinden. Dort hatte ich mich gemeinsam mit Karosh für wenige Wochen einquartiert, bevor wir in den Grüngürtel aufbrachen. Panje bestätigt, dass es vom »Auerhahn« nicht weit sei. Ich werfe einen Blick in die Runde. Kevil springt sofort auf, Eskel hat bereits seinen Mantel übergeworfen und auch der Fürst will offenbar nicht untätig bleiben. Ich habe bereits begonnen den Zauber zu wirken, als Gwin aufspringt. „Was ist mit mir? Ich komme mit!“ Sie sieht uns erwartungsvoll an. Moraven nickt und fragt, an Panje gewandt. „Frau Scuderi? Wollt ihr uns nicht begleiten? Es ist sicherlich von Vorteil eine ortskundige dabei zu wissen.“ Panje sieht ihn ungläubig an und die Röte in ihrem Gesicht weicht Blässe. Sie scheint nicht sonderlich erpicht darauf uns zu begleiten. Zudem vergisst der Fürst jedes Mal, dass es nicht möglich ist so viele Personen mit dem Zauber zu transportieren. Ich will Gwin und Panje also vertrösten, höre dann aber ein Schnurren an meinem Ohr. Shaes Blick lässt keine Widerworte zu. „Dann soll es so sein. Moraven, verwendet die Schriftrolle, welche ich für Euch angefertigt habe.“ Ich übermittle ihm ein mentales Bild des Zielortes, schnappe mir mit Kevil und Panje die zwei nächstbesten Personen und spreche die Worte.

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Die kleine Kammer liegt da, wie ich sie in Erinnerung habe. Die stark gebrauchten Möbel stehen an ihrem alten Platz und es hängt noch immer dasselbe Bild an der Wand, ein Zweimaster in stürmischer See. Kurz sehe ich vor meinem inneren Auge Karosh, auf dem Bettrand sitzend. Wir warten. Eine Minute vergeht, dann eine zweite. Wo bleibt Moraven? „Der Zauber ist fehlgeschlagen, sie haben es nicht geschafft“, muss ich ernüchtert feststellen. „Wir müssen uns wohl auf eigene Faust durchschlagen.“ Panje steht die Angst ins Gesicht geschrieben. „Alleine?“ Wir lauschen, können jedoch keine Geräusche ausmachen. Gar keine. Vom Zimmer geht es auf den Gang, die Holztreppe hinunter in den Schankraum. Er liegt verlassen da. Auf den Tischen stehen noch einige halb geleerte Krüge und angebrochene Mahlzeiten. Kevil schaut sich aufmerksam um, während ich den Raum nach verräterischen magischen Auren absuche, aber nichts dergleichen entdecken kann. „Die Kasse wurde geleert“, stellt Kevil nüchtern fest. Dann spüre ich die Aufregung Shaes. Sie hat etwas gehört. Ich gebe dem Hexenmeister ein Zeichen und im nu sind wir drei unsichtbar. „Was ist? Wo seid ihr?“ Schon jetzt wird deutlich, dass die verängstigte Panje zum Problem werden könnte. Kevil zischt ihr zu, sie solle still sein. Durch die Fenster erspähen wir einige Urdefahne vor dem Haus. Was machen diese Biester hier? Einer von ihnen, ein widerlicher Kerl mit tiefblauer Haut, hält inne und zieht Luft durch die Nüstern. Sie können uns wittern! Doch nach wenigen Augenblicken, in denen wir angespannt stehen bleiben und Panje sich glücklicherweise zusammenreißt, zieht er von dannen.

Unbemerkt kann Shae aus dem Gasthof schlüpfen. Die Straßen sind verlassen, sie erspäht keine Menschenseele. Nur Urdefhane streifen durch die Gassen oder kreisen auf ihren untoten Rössern über der Stadt. Anzeichen für Kämpfe sind nirgends zu entdecken. Im Schutze des Unsichtbarkeitszaubers, wagen auch wir uns hinaus und eilen, von Panje geleitet, durch die Geisterstadt. Urdefhanen die unseren Weg kreuzen weichen wir aus, bis wir vor uns den Marktplatz erblicken. Viele von ihnen tummeln sich dort und machen einem riesigen Skaveling Platz, der gerade zur Landung ansetzt. Etwas ungeschickt stützt sich die untote Bestie auf ihre ledrigen Schwingen. Doch meine Aufmerksamkeit ziehen die Daimonen auf sich. Wie kommen all diese Externare nach Golarion? Es muss ein Portal oder etwas Vergleichbares geben. Bevor ich sie jedoch genauer betrachten kann, tritt eine gehörnte weibliche Gestalt aus der Menge hervor und läuft zielstrebig auf uns zu. Die Haut ist bläulich, wie die der Urdefhane, Füße und Hände mit Klauen besetzt und auf ihrer Stirn blickt uns ein drittes, rotes Auge entgegen. In dem Moment, in welchem ich realisiere, dass sie imstande ist uns zu sehen, bohrt sich etwas in meinen Kopf. Neben mir stöhnt Kevil auf. „Ich weiß, dass ihr hier seid.“ Ihre Stimme ist gläsern und mit keiner bisher gehörten vergleichbar. Ich spüre Kevils tastende Hand an meiner Schulter und plötzlich stehen wir in einer Gasse. Der Marktplatz ist verschwunden.

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„Sie konnte unsere Gedanken wahrnehmen, wir müssen sofort verschwinden.“ Ich blicke in die Richtung, in welcher ich meine Freunde vermute. Panje braucht einen Moment, um sich zu orientieren. „Das muss es sein!“ Da wir sie jedoch nicht sehen, können wir nur mutmaßen, auf welches der Häuser sie deutet. Wenig später hat Kevil uns abermals teleportiert und wir finden uns in einem ehemals großzügig eingerichteten Raum wieder. Möbel sind umgeworfen, Bilder von den Wänden gerissen und der Boden mit Habseligkeiten übersäht. Hier hat jemand etwas gesucht, vielleicht hat sogar ein Kampf stattgefunden. Schnell finden wir heraus, dass es sich um das Haus Konrad Grom’Kuls und seiner Frau Freya handelt. Doch von den beiden fehlt jede Spur. Im Weinkeller finden wir zwei, von Rhokaschwertern erschlagene Personen, doch glücklicherweise handelt es sich nicht um die beiden Halb-Orks. Panje kann die Toten nicht identifizieren. Vom Keller führt eine Falltür hinunter in die Kanalisation. Mittlerweile sind wir nicht mehr unsichtbar. Wir blicken uns unentschlossen an. Sind die Bewohner des Hauses nach dort unten geflüchtet? Wir müssen es herausfinden.

Als Kevil die Luke anhebt muss ich würgen. Ausgerechnet vor dem bestialischen Gestank kann unsere Magie uns nicht schützen. Licht vermeiden wir, wer weiß was hier unten lauert. Mit Hilfe eines Zaubers ist es uns allen möglich problemlos in Dunkelheit zu sehen. Im Gang entdeckt Kevil eine an die Wand geschmierte Nachricht: „Zu Hause“ Nun, in seinem Haus haben wir den Botschafter nicht angetroffen. „Das ist Felicias Schrift“, erkennt Panje. „Sie müssen in das Anwesen der Ianucchis geflüchtet sein.“ Wir blicken sie erwartungsvoll an, doch sie hat Schwierigkeiten sich hier unten zu orientieren. Gemeinsam rekonstruieren wir in welcher Richtung der Marktplatz liegt und entscheiden uns für den Gang, welcher nach Südosten führt. Es dauert nicht lange bis wir dem ersten Urdefhanen begegnen. Aufgrund ihres guten Geruchssinns hatte ich darauf gehofft, dass sie diesen widerwärtigen Ort meiden würden. Doch noch bevor er zu einem Hieb gegen Panje ausholen kann, erstarrt er mitten in seiner Bewegung. Kevils Zauber lähmt ihn und die Schwertherrin zögert nicht ihm die Kehle aufzuschlitzen. In diesem Moment explodiert die Kreatur. Knochen und Innereien fliegen durch die Luft und schmettern Panje zu Boden. Das Gesicht voller dunkelrotem Blut blickt sie konsterniert auf den Punkt, an welchem der Urdefhan noch eben stand. Davor hätte ich sie warnen sollen.

Wir eilen weiter durch schmutzige Gänge, hören Schritte, die von den Wänden wiederhallen und daher schwer zu orten sind. Shae fliegt stets etwas voraus, um Zusammenstöße mit weiteren Urdefhanen zu vermeiden. Dann hören wir urplötzlich ein schmatzendes Geräusch neben uns und aus einer Kloake springt ein froschähnliches Wesen. Ich erkenne sofort, was uns dort gegenübersteht. Ein Hydrodaimon, von oben bis unten mit Fäkalien übersäht. Bevor es zum Kampf kommt manipuliert der Hexenmeister seinen Geist, woraufhin der Daimon sich in sein Drecksloch zurückzieht. Doch die Geräusche haben weitere Urdefhane angelockt. Aus allen Richtungen kommen sie herbeigestürmt. Kevil gibt uns ein Signal, wir nehmen ihn in unsere Mitte, packen ihn an der Schulter und er wirkt den Teleportationszauber. Ohne seine Fähigkeiten, die uns zwar nur kurze Distanzen überwinden lassen, hätten wir das Unterfangen bereits abbrechen müssen. So können wir den Kämpfen aus dem Weg gehen. Aber Panje hat dadurch nun vollends die Orientierung verloren und kann uns den Weg nicht mehr weisen. Erst als wir auf einen Ausgang stoßen, entdecken wir einen in eine Steinplatte gemeißelten Straßennahmen. „Es ist nicht mehr weit, wir sind ganz in der Nähe!“, flüstert die Schwertherrin. Wir entscheiden uns jedoch auch die letzten Meter unterirdisch zurück zu legen. Zu gefährlich schienen uns die Kreaturen, welche auf den Straßen Restovs ihr Unwesen treiben.

#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Daimon10

Es dauert nicht lange und Shae sichtet erneut Urdefahne. Wir versuchen durch schmale Gassen zu fliehen, finden uns aber bald in einer Zwickmühle wieder. Verfolger vor und hinter uns. Mit einem Netz versuche ich sie aufzuhalten und Kevil schleudert ihnen Strahlen und Feuerbälle entgegen. Wir beide werden durch magische Spiegelbilder glücklicherweise vor den Hieben der Angreifer geschützt, aber ich habe nicht die Mittel, um unsere Widersacher aufzuhalten. Womit sie bekämpfen? Panje hingegen beweist Geschick im Umgang mit dem grazilen Duellschwert. Doch jeder niedergestreckte Gegner schleudert die Elfe mit einer heftigen Explosion zurück und mittlerweile hat sie sich gefährlich weit von uns entfernt. Kevil ruft sie zurück, denn der Strom von Angreifern scheint nicht abzureißen. Während wir die heranstürmenden Urdefahne aufhalten, gelingt ihr schwer angeschlagen der Rückzug. Von Kopf bis Fuß ist sie mit Blut und Eingeweiden der selbstzerstörerischen Kreaturen bedeckt. Kevil bringt uns außer Gefahr zurück zu dem Ausgang, welchen wir eben noch verschmäht haben. Hastig klettern wir empor. Panje muss zunächst versorgt werden. Sie ist bleich, ob vor Angst oder aufgrund des Blutverlusts vermag ich nicht zu beurteilen. „Wäre nur Grunda bei uns“, stöhnt sie und hat Mühe sich auf den Beinen zu halten. Als wir sie unter Zuhilfenahme des Heilerstabs wieder einigermaßen zusammengeflickt haben, drängen wir sie uns erneut den Weg zu weisen. Wir haben abermals Glück, sie erkennt die Straße und das Anwesen der Ianucchis scheint nicht weit zu sein. Von weiteren Widersachern unbemerkt überwinden wir die letzten Meter und finden uns in luxuriösen Hallen wieder. Die Architektur ist einladend und offen, durch große Fenster fällt viel Licht hinein. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte mir das auch gefallen, nun müssen wir befürchten jeden Moment entdeckt zu werden.

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Wie im Rest der Stadt, scheint es hier keine Kämpfe gegeben zu haben. Jedoch ist alles von Wert was nicht niet- und nagelfest war verschwunden. „Da war aber jemand sehr gründlich“, murmelt Kevil. Ich erinnere mich an die Entdeckungen in Varnburg. Als wir die Ortschaft verlassen vorfanden, waren auch dort alle Wertgegenstände verschwunden. Es gab keine Hinweise auf einen gewaltsamen Überfall. Es scheint ein einheitliches Muster zu geben. Lediglich die Kampfspuren im Haus der Grom’Kuls passen nicht ins Bild. Wir durchsuchen die Villa und dringen in den Keller vor. Hier muss es irgendwo einen Zugang zur Kanalisation geben und dort hoffen wir Konrad und Felicia zu finden. Anstatt schwere Weinfässer beiseite zu rollen, prüfe ich den Raum mit einem Zauber und werde schnell fündig. Hinter einem Wandteppich verbirgt sich eine Geheimtür. Wir schicken eine magische Botschaft hindurch und lauschen. Schritte. Dann fährt die Tür beiseite. Vor uns steht ein mir unbekannter, älterer Mann, das faltige, müde Gesicht ist geschunden. Die Rüstung lastet schwer auf seinen Schultern. Misstrauisch blickt er uns an uns raunt dann in den hinteren Teil des Raumes. „Es sind zwei Elfen und ein Mensch, keine Urdefhane.“ „Und eine fliegende Katze“, faucht Shae leise. Er winkt uns herein. Und dort sind sie: Felicia, Konrad und, so vermute ich, Freya. Kleidung und Haare sind mit Fäkalien verklebt, die Augen sind eingefallen, aber sie scheinen wohlauf. Sie können ihr Glück kaum fassen, doch Freundschaftsbekundungen und Danksagungen müssen warten. „Wir sollten sofort diesen Ort verlassen und nach Narlgaard zurückkehren.“ Felicia schaut mich mit großen Augen an. „Wie -?“ „Wir werden uns teleportieren.“ Ich werfe Kevil eine Schriftrolle zu und höre sie murmeln. „Die Geschichten stimmen also.“ Wir nehmen die Geretteten bei den Armen und im nächsten Moment finden wir uns in den vertrauten Hallen der Hirschfeste wieder.

#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Rufus_10#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Felici10#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Konrad10#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Freya_10

Erst jetzt machen wir uns mit den Geretteten bekannt. Der alte Mann nennt sich Rufus Händel von Wallachhain Stahlacker, ein Ritter eines niederen Adelshauses. Doch wir wollen herausfinden was geschehen ist und beginnen die vier mit Fragen zu löchern. Konrad ergreift als erstes das Wort. „Es ist unvorstellbar. Mich überkam ein kurzer Schwindel. Plötzlich, plötzlich – sie ließen alles stehen und liegen, unterbrachen was immer sie gerade taten, packten ihre Börsen, Schmuckschatullen und dergleichen. Freya ebenso, ich schaffte es nicht sie festzuhalten. Also folgte ich ihr auf die Straße. Alle strömten nach draußen, in den Händen ihr Hab und Gut. Ich sah Lea Ianucchi unter all den Leuten und auch Felicia. Sie machte als einzige den Eindruck, als sei sie nicht von dem Wahn befallen. Wir wussten nicht, was zu tun sei, sie waren nicht ansprechbar. Alle zogen sie aus der Stadt. Gemeinsam haben wir Freya gepackt und zurück ins Haus gezerrt.“ „Wohin wolltet Ihr gehen?“, frage ich, an Freya gewandt. „Ich wollte -. Es war eine gute Idee. Ich konnte alles sein, alles werden. Ich musste nur meine Schätze mitbringen und damit für den Einlass zahlen. Dann wäre ich an einen paradiesischen Ort gekommen. Einen Ort, an dem alle Wünsche erfüllt werden und es kein Leiden gibt. Das nächste an was ich mich erinnere sind die Urdefhane, wie sie uns angreifen.“ Das hört sich nach einer mächtigen Verzauberung an. Offenbar konnten Konrad, Felicia und Rufus der Magie trotzen. Was ist mit denen geschehen, welche ebenfalls dem Zauber widerstanden? Und was ist jenen zugestoßen, welche die Stadt verlassen haben? Konrad und Felicia berichten, dass nur wenige bei Sinnen waren. Der überwältigende Teil der Bewohner Restovs ging fort. Wohin, das wissen die vier nicht. Sie mussten mit ansehen wie jeder, der sich widersetzte oder versuchte zu fliehen von den Urdefhanen und grausameren Monstern abgeschlachtet wurde. „Wo ist Lea Ianucchi?“, will Kevil wissen und Felicias Blick wird schwer. Kaum hörbar flüstert sie: „Ich habe sie aus den Augen verloren. Von einem Moment auf den anderen. Die Menschenmassen, ich konnte sie nicht mehr finden.“ „Und dann, was ist danach geschehen?“ Aufgeregt berichtet Freya von den beklemmenden Erlebnissen. „Herr Händel von Wallachhain Stahlacker stieß zu uns. Er war auf der Flucht und hat einige der Urdefhane erschlagen. Mehrere Stunden haben wir uns in den Kellerräumen versteckt. Aber man entdeckte uns. Eine seltsame Kreatur kam, hat sich in die Wohnung gedrückt. Lange und ausgemergelte Glieder, schwarze Federn und ein Rabenschnabel. Ein grausames Antlitz. Unsere beiden Bediensteten wurden erschlagen. Felicia hat Zauber gewirkt und – ich weiß nicht mehr, es ging alles sehr schnell. Wir sind gerannt, durch die Kanalisation. Felicia kannte sich aus und hat uns hierhergebracht. Auf dem Weg haben wir bestimmt ein Dutzend Urdefhane gesehen.“

Die Stadt scheint verloren. Wenn sie Recht behalten, sind nahezu alle Bewohner von dem mächtigen Fluch befallen. Doch wohin sind sie verschwunden? Den runden Spiegel lege ich vor mir auf den Tisch und beginne mit dem zeitaufwändigen Ritual. Ich rufe mir ein Bild Lea Ianucchis ins Gedächtnis und schließe konzentriert murmelnd meine Augen. Als ich sie schließlich wieder öffne, ist mein eigenes Antlitz verschwunden. Der Zauber ist geglückt. Eng an eng gepfercht sitzt sie zwischen vielen verdreckten Menschen in der Dunkelheit. Besorgt winke ich Felicia heran. Einige Minuten beobachten wir schweigend. Lea wirkt mitgenommen und durstig. Ich inspiziere das dunkle Gemäuer, kann aber keine Hinweise entdecken, welche auf den Aufenthaltsort schließen lassen. Plötzlich tritt ein großer Schatten hinter die Schwertherrin. Erschrocken halte ich den Atem an. Ein unverkennbar untotes Wesen, das mächtige Skelett wird von freigelegtem Muskelfleisch zusammengehalten. Gedärm hängt aus dem offenen Bauch und schleift über den Boden. Was mich am meisten ängstigt ist jedoch das eine große Auge inmitten des gehörnten Schädels. Ein untoter Zyklop. Er greift nach Lea Ianucchi und dreht ihr mit einem Ruck den Hals um.

#46 Boten des Krieges (24. Rova bis 12. Pharast, 4713 AZ) Zyklop10

Sechsundvierzigste Sitzung am Freitag, den 22. Februar und Samstag, den 23. Februar 2019 in Frankfurt.
Mit Tobi, Miles, Dominik, Toni, Ilka und mir.

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