Eine Erzählung von Mareen
1. Faquarls Verschwinden
Als ich geweckt werde, geht es mir richtig dreckig. Verärgert versuche ich den Mann fortzuschicken, doch er bleibt hartnäckig und so trete ich mit schmerzendem Kopf ins Freie. Ich spüre noch den Wein durch meine Adern fließen. Der Wachmann bittet mich mitzukommen, er sagt Eskel schickt ihn. Missmutig mache ich mich also auf den Weg und wechsle nicht viele Worte mit dem Kerl. Er sieht auch etwas übernächtigt aus und nimmt es mir deshalb wohl nicht übel.
Anstatt mich zur Burg zu bringen, werde ich ins Gasthaus geschickt, wo ich mir bei Anton direkt einen Krug Wasser und ein Stück Brot geben lasse, bevor ich nach Eskel frage. Der Wirt schickt mich in das Zimmer von Herrn Pendrot. Das ist völlig überfüllt. Neben dem Historiker sind, wenn ich mich nicht täusche, alle Rivas anwesend. Sie scheinen besorgt, allen voran Mina. Verzweifelt fragt sie mich, ob ich Faquarl gesehen hätte. Tatsächlich, der ist nicht da. Nun, das ist vielleicht eine merkwürdige Frage. Will sie denn wissen, ob er die Hochzeitsnacht bei uns im Lager verbracht hat? Aber die anderen sind nicht zum Scherzen aufgelegt. Man informiert mich, dass Faquarl seit heute Morgen verschwunden sei. Shae hat es als erste bemerkt, denn sie spürt Faquarls Anwesenheit auf weite Distanzen. Doch ihre Schilderungen sind unverständlich. Anscheinend kann sie nicht in Gedanken mit ihm sprechen, sondern lediglich fühlen was er fühlt. Das letzte was sie bemerkt habe war seine Aufregung. „War er verängstigt?“, fragt Mina, aber die Katze verneint. „Freudig erregt, keine Spur von Angst.“ Die Schilderungen ihrer Eindrücke geben uns nur noch mehr Rätsel auf. Mina berichten von zwei Wachen, welche ihren Mann aufgefordert hätten Vater Grigori aufzusuchen. Er ist also los, aber offenkundig nie bei dem Priester angekommen. Eskel vermutet deshalb einen Hinterhalt, eine Falle. Warum wir dann noch hier stehen und diese Mistkerle nicht aufspüren würden, will ich wissen. Doch sie haben anderes im Sinn.
Mit Erwils Hilfe würden sie in Kürze herausfinden, wo Faquarl sich aufhält. Wozu sie mich dann brauchen, fragte ich genervt. Ich will mich einfach wieder hinlegen und hätte nichts dagegen, mir einfach hier ein Zimmer zu nehmen. Sollen sie mich wecken, wenn er wieder aufgetaucht ist. Doch Eskel wirft mir einen Blick zu, welcher so viel sagt wie: „Wir werden deine Hilfe noch gebrauchen können.“ Das ich nicht lache, wie soll ich denn seine Spur verfolgen? In Narlgaard wimmelt es von Besuchern. Seine Fährte zwischen all diesen Gerüchen auszumachen halte ich für unmöglich. Ich bleibe also im Türrahmen stehen und schlucke weitere Kommentare herunter. Auch weil Mina arg aufgelöst scheint, sie kann einem echt leidtun. Moraven versucht sie zu beruhigen und versichert ihr, dass Erwil ihn sofort ausfindig machen wird. Doch der erste Zauber schlägt fehl und er muss es mit einem anderen versuchen. Dafür erhitzt Herr Pendrot Weihrauch, welcher mir beißend in die Nase zieht und den Raum in Nebel hüllt. Als Erwil beginnt unverständliche Worte zu murmeln, hebt er eine Handbreit von den Dielen ab und seine Augen fangen an zu leuchten, weiten sich, bis das Weiß deutlich hervortritt. Von einem Aufgenblick zum nächsten fällt er in sich zusammen und stürzt zu Boden. „Das muss ein Irrtum sein“, murmelte er immer und immer wieder, während Moraven ihm aufhilft. „Das muss ein Irrtum sein." Alle Blicke sind erwartungsvoll auf ihn gerichtet. "Ich sah ihn, auf einem Tisch. Seine Brust entzwei, Blut überall. Verschwommene Kreaturen. Rotes Licht, ein blutroter Himmel hinter einer gigantischen Stadt. Das kann nicht sein, das kann einfach nicht sein.“ Es ist still im Raum und keiner kann so recht glauben, was der Magier vor sich hin brabbelt.
Erwil selbst schlägt Layra vor einen weiteren Zauber auszuprobieren. Sie soll eine Frage stellen und die magische Energie überliefere ihr daraufhin die passende Antwort. Glücklicherweise hört sie nicht auf die Vorschläge des Fürsten und und bringt die Sache auf den Punkt: „Wo ist Faquarl?“ Ich warte auf eine Reaktion, doch es passiert nichts. Magni klärt mich auf, nur Layra könne die Antwort hören. „Sowohl sein Körper, als auch sein Geist, beide gehen durch die Hölle.“ Das soll die Wahrheit sein? Wie zum Teufel ist Faquarl in die Hölle gekommen? Zwei einfache Wachen können ihn doch nicht dorthin verschleppt haben? Das kann und will ich nicht glauben. Somit werden die Wachen kurzerhand ausfindig gemacht. Die behaupten weiterhin, dass Vater Grigori sie persönlich beauftragt habe. Sie sind also zu Faquarl, haben ihm die Nachricht überbracht, ihn aber nicht zum Tempel begleitet. Warum sollten die Kerle sich so etwas ausdenken?
Also geht es wieder zu Grigori, doch der weiß nichts davon. Er vermutet, dass jemand sich verkleidet und als Hohepriester ausgegeben hat. Das ist dieser merkwürdigen Maske wohl recht einfach. Die anderen lassen sich nicht abwimmeln und bitten ihn einen Wahrheitszauber auf sich selbst zu wirken und die Maske abzunehmen. Das das lässt der Priester nicht mit sich machen Das Tragen der Maske sei Teil des Ordens und den geforderten Zauber kann er erst wieder am nächsten Tag wirken. Stattdessen erhält Magni die Erlaubnis des Priesters mit Magie die Wahrheit herauszufinden. Der Zwerg bestätigt, dass der Maskenmann die Wahrheit sagt. Moraven erkundigt sich nach Jeremias, doch der ist momentan nicht anwesend und so bittet der Fürst den Priester seinen Gehilfen nach dem Verbleib Faquarls zu befragen. Grigori ist etwas erschüttert darüber, dass sowohl er, als auch sein Glaubensbruder verdächtigt werden. „Bevor ich in die Hölle reise, verdächtige ich erst einmal jeden“, entgegnet Eskel. Magni hingegen bitten unterwürfig bei dem Priester um Entschuldigung und Grunda ist, als sie von unserem Besuch bei ihrem Vorgesetzen erfährt über die Anschuldigungen aufgebracht. "Wir kommt ihr dazu einen Abgesandten des Abadar zu beschuldigen? Womöglich ist es die Prinzessin, welche uns an der Nase herumführt." Vater Grigori scheint weniger nachtragend, denn er verkauft Moraven für mehr Geld als ich jemals besessen habe ein ganzes Regal voller Tränke für die uns bevorstehende Expedition. Anschließend versucht der Barde noch auf eigene Faust herauszufinden, wo sich Jeremias aufhält, doch seine Magie ist zu schwach.
Der Fürst hat noch einen guten Einfall. Er eilt zum Magierturm, denn er vermutet Hinweise auf Faquarls Verschwinden in seinen Tagebüchern finden. Gedankenverloren macht er einen Kommentar, der Mina erneut aus der Fassung bring. „Vielleicht hat er einen Pakt mit einem Teufel geschlossen.“ Die Prinzessin erbleicht. „Einen Pakt mit einem Teufel? Was bedeutet das? Und warum sollte er das tun?“ Moraven zuckt nur mit den Schultern. Faquarl hat stapelweise Aufzeichnungen und es braucht einige Zeit sich darin zurecht zu finden. Mina steht etwas unsicher daneben, nicht einmal sie hat in diesen gelesen. Doch die Hoffnung einen entscheidenden Hinweis zu finden ist größer als die Sorge um das Missfallen des Magiers über die Neugierde seines Freundes. Der überfliegt eine Seite nach der nächsten und stößt dabei auf allerlei bemerkenswerte Dinge. „So viel hat der Turm gekostet? Sag Mina, stimmt das?“ „Entschuldigt bitte, ich weiß nichts von diesen Angelegenheiten“, erwidert sie verschüchtert. „Und von welchem Fundstück ist hier die Rede?“ „Nun, das wird das Bild der Elfe sein. Es hängt in seinen Gemächern. Es ist wirklich ein besonderes Bild, wollt ihr es sehen?“ „Nein danke“, entgegnet Moraven, „ich kenne es. Höchst interessant einen Einblick in die Machenschaften eures Mannes zu erhalten. Leider kann ich hier nichts finden, was uns weiterhilft.“ Ich muss schmunzeln, Faquarl hatte mir das Bild vor einiger Zeit im Keller der Hirschfeste gezeigt und erwähnt es hier aufhängen zu wollen.
Wir beraten uns, doch müssen feststellen nicht viel schlauer geworden zu sein. Faquarl befindet sich in der Hölle und will man der Vision des Magiers glauben, dann geht es nicht gut um ihn. Keine Zeit zu verlieren, wir müssen handeln. Erwil versucht uns Mut zu machen. „Solltet ihr beabsichtigen euren Freund zu retten, werdet ihr Hilfe brauchen. Sera wird euch überlebensnotwenige Informationen geben, Fragen beantworten und euch auch in die Hölle bringen können. Sie ist eine Expertin auf diesem Gebiet, hat schon viele Ebenenreisen unternommen und war auch bereits einige Male an dem Ort, an welchem sich Faquarl momentan aufhält. Ihr könntet keine bessere Ansprechpartnerin finden. Sie hat das Zimmer gleich nebenan und ist bereits in die wichtigsten Erkenntnisse eingeweiht.“
Ich habe die Halb-Elfe Frau Schwarzschwan bisher nur einige Male aus der Entfernung gesehen. Als sie vor mir steht, spüre ich die Erhabenheit, die sie ausstrahlt. Wenn sie spricht weiß ich nicht wo ich hinblicken soll, denn ihre Augen sind von einer eleganten, silbernen Maske verdeckt. Faquarl sagte mir, dass sie fast blind sei, doch sie bewegt sich sehr sicher durch den Raum. „Erwil berichtete mir jede Einzelheit seiner Vision und wir sind gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass Herr Magister Faquarl Lodowka von Riva sich in Dis befindet, der zweiten Ebene der Hölle und größten Stadt des Multiversums.“ Mit ruhiger Stimme, welche ihren Worten Gewicht verleihen und Schreckensbilder vor unseren inneren Augen heraufbeschwört, berichtet sie von diesem Ort. Allein der Aufenthalt dort ist tödlich. Es gibt nicht viele existenzfeindlichere Orte als die Hölle. Die Luft wird unsere Lungen verbrennen. Glücklicherweise kann sie uns zeitweise davor schützen. Die Hölle besteht aus sieben verschiedenen Ebenen oder Schichten, so genau habe ich das nicht verstanden. Jedenfalls sorgt Asmodeus der Höllengott selbst dafür, dass man mit Magie nur auf die erste Ebene, den Avernus, gelangt. Von dort aus muss man in tiefere Schichten vordringen, was nicht so einfach ist. Der Avernus ist eine ewige Wüste, in welcher die Kreaturen der Hölle ihre Kriege austragen und die sie vor Eindringlingen verteidigen. Sobald wir auf dieser Ebene stranden, werden sie uns angreifen. Haben wir die erste Welle überstanden, müssen wir unbemerkt reisen. Es gibt einige Möglichkeiten auf die zweite Ebene nach Dis zu gelangen. Beständige Portale ermöglichen es die Stadt zu betreten, doch in ihrer Nähe wurden gewaltige Festungen von hochrangigen Teufeln errichtet. Diese Tore werden von gewaltigen Armeen bewacht. Des Weiteren gibt es den schwarzen Fluss Styx, welcher durch alle Ebenen der Hölle fließt. Doch wer mit dem Wasser in Kontakt kommt, verliert auf immer sein Gedächtnis. Am wenigsten gefährlich, so schätzt es Sera ein, sei die Reise durch einen Höllenschlund. Dabei handelt es sich um lebendige Mäuler, welche zwei Höllenebenen miteinander verbinden. „Wie findet man einen solchen Schlund?“, will Moraven wissen. „Mit viel Glück.“ Sollte uns das nicht gelingen, bleibt noch eine letzte Möglichkeit, womöglich die sicherste von allen, doch der Preis ist hoch: Der Pakt mit einem Teufel. Teufel sind bekannt dafür ihre Dienste im Tausch gegen eine oder mehrere Seelen anzubieten. Diese erhalten sie im Gegenzug für ihre Dienste nach dem Tod des Unglücklichen. Was das bedeutet, das kann ich mir nicht vorstellen. Den Gesichtern der anderen nach zu urteilen geht es ihnen ähnlich. Der Weg nach Dis scheint schwieriger zu sein, als der Weg zurück. Sera versichert uns, dass sie uns alle aus der Hällenstadt nach Narlgaard teleportieren könne. „Aber wie sollen wir in Dis unbemerkt bleiben?“, will Eskel wissen. Sera muss schmunzeln. „Dis ist ein lebendiger Ort. Millionen von Kreaturen leben dort, wir werden nicht unentdeckt bleiben. Aber das müssen wir auch nicht. Dort leben die absonderlichsten Kreaturen, das ist richtig. Aber es ist kein Ort, an welchem sich nur Monster herumtreiben. Händler aus dem gesamten Multiversum verkaufen dort ihre Waren. Ich habe eine Bekannte in Dis, das könnte eine sichere Anlaufstelle sein – vorausgesetzt wir finden sie. Ich muss euch warnen. Eine Reise in die Hölle ist tödlich und noch könnt ihr euch nicht ausmalen, was euch erwartet. Ich werde euch zwar mit Rat zur Seite stehen, aber euch vor den Kreaturen dort beschützen, das vermag ich nicht.“
Die Worte Seras haben sichtlich Wirkung gezeigt. Es ist still im Raum, keiner wagt etwas zu sagen. In den Gesichtern erkenne ich Verunsicherung und Angst. Selbst Grunda wirkt niedergeschlagen, doch sie ist die erste, welche sich erhebt. „Nun, wer kommt mit?“ Kurzentschlossen melde ich mich, woraufhin, nach kurzem Zögern, auch Eskel und Moraven aufstehen. Will der Fürst tatsächlich mitkommen? Er wirkt kränklich und scheint mir auch in guten Tagen kein Krieger zu sein. Was will der Mann mit seiner Laute gegen eine Heerschar von Teufeln ausrichten? Er mag ein begnadeter Redner sein, aber diese Kreaturen werden dem charmanten Mann wohl mit anderen Absichten um den Hals fallen, als die Töchter hoher Adliger. Doch mir steht es nicht zu die Entscheidung des Fürsten anzuzweifeln und so halte ich meinen Mund. Layra zögert noch einen Moment verkündet dann aber sich gemeinsam mit Finnvarra dem Rettungstrupp anschließen zu wollen. Erwartungsvoll blicken wir ins Gesicht des Zwergen, welcher mit leerem Blick aus dem Fenster starrt. Erschrocken wendet er sich uns zu. „Nun, natürlich komme ich auch mit. Ich habe nur … mir schon mal einige Gedanken gemacht wie wir am besten vorgehen.“ Auch Shae will sich uns anschließen, doch Sera muss sie vertrösten. Die Hölle sei kein Ort für eine kleine Agathion. Zudem könne sie nicht unbegrenzt viele Kreaturen mitnehmen, dazu reichten ihre Kräfte nicht aus. Frau Herbstflügel pflichtet ihr bei. „Ich werde ebenfalls hierbleiben. Kümmert euch um Mina, leistet ihr Beistand. Sie wird euch brauchen.“
Als dies entschieden ist wird eine riesige Truhe aus der Burg ins Zimmer Erwil Pendrots geschleppt. Darin befinden sich mehr Münzen, als ich zählen kann. Zwischen ihnen funkelnde Steine und andere Gegenstände von unschätzbarem Wert. All das geben sie Herrn Pendrot, der davon einen mächtigen magischen Gegenstand im fernen Absalom kaufen soll. Der Magier ist in der Lage sich zu teleportieren und ist zuversichtlich schnell zu finden, nach was wir suchen. Was das für ein Gegenstand sei, will ich wissen. Man informiert mich, dass man am besten mit versilberten oder gut gesinnten Waffen gegen Teufel kämpft. „Weg damit!“, fauche ich Eskel an, als er mir ein silbernes Schwert reicht. Niemals werde ich so etwas auch nur in die Hand nehmen. Sollen Zauberkundige meine Waffe weihen. Einige Stunden später, es hat bereits zu dämmern begonnen, kehrt Herr Pendrot mit einem Amulett zurück. Das fragile Band wird aufgetrennt und durch eine schwere Eisenkette ersetzt. Dann legt man es dem Greifen um den Hals. Magni steckt einige Münzen ein Es ist kein gewöhnliches Zahlungsmittel. Der Zwerg zeigt mir stolz die fremdländischen Prägungen. "Sie stammen von anderen Existenzebenen. Es sind auch welche aus Dis dabei." Er hält mir eine goldene Münze unter die Nase, auf welcher ein Kreis zu sehen ist, aus dem sternförmige Zacken ragen. Es scheint mir eine sehr gute Idee diese mitzunehmen.
Bevor wir unsere Reise beginnen, weihe ich Sera in mein kleines Geheimnis ein. Ich verwandle mich in ein Mischwesen aus Mensch und Wolf, einen Werwolf, denn in dieser Gestalt bin ich weniger verwundbar. Außerdem kann es in der Hölle nicht schaden etwas furchteinflößender zu erscheinen. Anstatt erschrocken zurück zu weichen, lächelt Sera beeindruckt. Auch Magni nimmt seinen Helm ab und zum ersten Mal erblicke ich das Antlitz des Dunkelzwergs. „Ihr Rivas seid immer für eine Überraschung gut.“, entgegnet Frau Schwarzschwan. Ihren Fehler korrigiere ich nicht, es fühlt sich gut an mit einem Adelstitel angesprochen zu werden. Ein Gefühl dazu zu gehören. Dann stellen wir uns in einem Kreis auf, fassen uns an den Händen und Sera beginnt den Zauber zu wirken.
2. Unendliche Ödnis
Eine gewaltige Kraft reißt uns nach oben und durch die Decke. Ich zucke zusammen und im nächsten Moment sehe ich Golarion unter mir verschwinden. Die Farben um uns verschwimmen und weichen erst totaler Schwärze und dann einem blutroten Himmel. Es gibt einen Ruck und ich spüre wieder Boden unter meinen Füßen. Doch sofort springe ich auf. Der Untergrund ist glühend heiß und in meinem Fuß steckt ein Metallsplitter. Beim ersten Atemzug muss ich husten. Meine Lunge brennt und ich habe das Gefühl zu ersticken. Eskel gibt mir ein Zeichen die Luft anzuhalten. Ich versuche nicht zu atmen. Schwefelgestank steigt in die Nase. Mir wird schwindelig. Der schwarze Untergrund fängt an sich zu bewegen und die Hitze bringt mich um den Verstand. Dann spüre ich eine Berührung an meiner Schulter und die Hitze um mich herum lässt nach. Vor mir steht die Halb-Elfe und gibt mir mit einem Lächeln zu verstehen, dass ich nun wieder atmen kann. Ich hole tief Luft, fülle meine Lungen und beruhige mich allmählich. Schnell hat sie uns alle mit dem lebensrettenden Zauber belegt, welcher uns an die Gegebenheiten dieses Ortes anpasst. „Wie viel Zeit haben wir, bis die Magie nachlässt?“, will Grunda wissen. „Genug Zeit um uns zurecht zu finden, zu wenig um hier zu rasten.“ Das klingt nicht sonderlich vielversprechend. Aber für den Moment bin ich heilfroh um die Hilfe der geheimnisvollen Frau. Einzig die Metallsplitter, welche aus dem Boden ragen sind weiterhin messerscharf und jeder Schritt muss mit Bedacht gewählt werden. Auch erkenne ich, dass aus den Ritzen Blut quillt und sich tatsächlich darunter etwas zu bewegen scheint. Gedärme und Innereien drücken gegen die verkrustete Oberfläche. „Die Überreste von Kreaturen, welche hier ihren Tod fanden“, klärt uns Sera auf. „Seit Jahrtausenden werden hier Kriege ausgetragen. Die Blutkriege zwischen Dämonen und Teufeln sind besonders heftig und auch Heerscharen von Engeln ließen hier ihr leben. Nicht selten kommt es auch zu Schlachten zwischen verfeindeten Erzteufeln. All die Toten speisen den Avernus seit Jahrtausenden.“ Ich wende mich von diesem Anblick ab und lasse meinen Blick in die Ferne schweifen. Was ich zu sehen bekomme ist nicht erfreulicher. Vor uns erstreckt sich eine gewaltige Wüste. Am Horizont erkenne sind zerklüftete, scharfkantige, metallisch anmutende Berge zu erkennen. Sera kann offenkundig nicht sonderlich weit sehen, ihr Blick ist stets auf den Boden geheftet und wir nehmen sie schützend in unsere Mitte. In den kommenden Stunden werden wir ihr stets unsere Eindrücke schildern. Sie kann uns helfen die merkwürdigen Phänomene, welche wir um uns herum wahrnehmen zu verstehen. Jetzt sehen wir sie erwartungsvoll an: Wie geht es weiter?
Frau Schwarzschwan streckt ihre Hand aus und berührt einen Ring an ihrem Finger. Eine schwebende Karte erscheint aus dem Nichts, zweifelsfrei ein Abbild der Hölle. Meine Hand fährt durch sie hindurch und ich erkenne mit Erstaunen, dass es nur eine Illusion ist, eine Karte aus Licht. Mit flinken, wischenden Bewegungen verändert Sera den Ausschnitt und langsam wird uns das Ausmaß dieser Einöde bewusst. „Prägt euch ein, was ihr hier seht. Ich werde die Karte nur ein einziges Mal zu Rate ziehen können.“ Gemeinsam über sie gebeugt versuchen wir uns zu orientieren. Wir sehen Gebirgszüge, Festungen von Erzteufeln und auch den schwarzen Fluss. Moraven hält Ausschau nach einem Höllenschlund, doch Sera gibt zu bedenken, dass jene nicht eingezeichnet sind, da sie nicht dauerhaft bestehen. „Wenn Ihr vor einem stehst, werdet Ihr ihn als solchen erkennen. Sie sind stets verschieden, doch allen ist eines gemein: Es sind große Mäuler, Tore in die darunter liegende Ebene, Tore nach Dis.“ Als wir unseren Standpunkt in etwa bestimmt haben, müssen wir uns entscheiden. Wie wollen wir vorgehen? Auf gut Glück durch den Avernus zu streifen und nach einem Höllenschlund Ausschau zu halten scheint keine Option zu sein. Auch wird es nicht möglich sein unbemerkt durch die streng bewachten dauerhaften Portale zu reisen. Somit bleiben nur noch zwei Optionen: der Styx oder ein Pakt mit einem Teufel. „Beide Gefahren sind absurd“, entgegnet Sera. Sie ist keine große Hilfe, wenn es darum geht Entscheidungen zu fällen. Weil Grunda und Moraven sich beide vehement gegen Abkommen mit Teufeln aussprechen, beschließen uns in Richtung des schwarzen Flusses aufzubrechen.
Bereits nach sehr kurzer Zeit begegnen wir einer erste Kreatur. Eine humanoide Gestalt, welche allein durch die Einöde schlurft. Ich vermute, dass es sich um einen Untoten handelt, aber wieder liege ich falsch. „An diesen Anblick werdet ihr euch gewöhnen müssen“, bemerkt Sera. Es handle sich um die Seelen von Toten, sogenannte 'Verdammte', welche ziellos umherstreifen und ständige Qualen leiden. Ich verstehe nicht, wie tote Kreaturen Qualen leiden und durch die Gegend spazieren können. Aber der Gesichtsausdruck des Gepeinigten verrät tatsächlich nichts als Leid und bestürzt wende ich mich ab. Glücklicherweise scheinen sie keine Gefahr darzustellen. Layra will wissen wie man ihnen helfen kann, doch Moraven entgegnet bestimmt, dass es nicht unsere Aufgabe ist jede verdammte Seele aus der Hölle zu retten.
Plötzlich erscheint aus dem Nichts in einiger Entfernung ein Teufel. Im nächsten Moment ist er auch schon wieder verschwunden. In den kommenden Minuten erscheinen und verschwinden in immer kürzer werdenden Abständen viele weitere Teufel. Ihre Zahl ist nicht abzuschätzen, da wir nicht wissen, ob es sich stets um dieselben Kreaturen handelt. Sie scheinen in der Lage sich jederzeit teleportieren zu können. Noch sind sie weit entfernt, aber sie nähern sich beständig. „Es beginnt, macht euch bereit“, haucht Sera uns zu. Bald können wir erkennen, dass es sich um verschiedenartige Kreaturen handelt. Einerseits muskelbepackte Tormentoren, im Volksmund auch Peinigerteufel genannt, welche mit ihren Netzen Seelen einfangen und andererseits rote, bärtige Teufel mit Glefen in den Händen. „Das sind Barbazu. Nehmt euch in Acht, ihre Waffen hinterlassen Wunden, welche nur schwer durch Heilzauber verschlossen werden können.“ Zudem nähert sich ein Nessianischer Höllenhund, so groß wie Finnvarra. Um seinem Feueratem zu umgehen, streben wir auseinander. Der folgende Kampf ist heftig und kurz. Grunda macht mit dem Höllenhund kurzen Prozess und dank geweihter Waffen sind unsere Hiebe tödlich. Schnell erkennen unsere Widersacher, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen ist. Die letzten fliehen, bevor wir ihnen ein Ende bereiten können. Magni und Eskel haben übelriechende, schwarze Wunden von den Waffen der Bartteufel davongetragen. Der Zwerg zückt einen scharfen Dolch und schneidet erst dem Alchemisten, dann sich selbst unerschrocken das verbrannte Fleisch heraus. Der grimmige, schmerzverzerrte Gesichtsausdruck entspannt sich, als Layra und Sera die Wunden versorgen.
Wir setzen unsere Reise fort und nähern uns allmählich den spitzen eisernen Gipfeln. Unvermittelt tauchen drei Dutzend Verdammte hinter einer Felsformation auf. Sie sind mit Ketten aneinandergebunden und werden von vier Barbazu unerbittlich angetrieben. Sofort verstellt einer der Bartteufel uns den Weg. Doch anstatt zum Angriff über zu gehen, spricht er uns an. Ich kann die klackernden Geräusche nicht verstehen. Sera jedoch antwortet ihm jedoch auf infernal. Die beiden scheinen etwas zu verhandeln. Sie findet heraus, dass die Verdammten zu einer Festung gebracht werden, wo sie als Baumaterial herhalten sollen. Frau Schwarzschwan erkläre uns bereits, dass aus den toten Seelen mächtige Bauten errichtet werden oder sie nach langer Leidenszeit zu Lemuren, den niedersten Teufeln, geformt werden. Für eine ungehinderte Weiterreise verlangt er einen Tribut. Moraven schlägt ihm stattdessen vor ihm die Verdammten abzukaufen. Ich bin von dem Vorschlag überrascht. Eben noch machte er klar, dass er uns nicht in der Pflicht sieht uns um die zahllosen Seelen zu kümmern und jetzt das? Was sollen wir mit diesen absonderlichen Kreaturen anfangen? Magni und Eskel verdrehen hingegen nur die Augen. „Der Fürst hat stets die aberwitzigsten Ideen. Gewöhn dich daran, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein“, flüstert der Zwerg hinter vorgehaltener Hand. Sera erklärt ihm, dass der Teufel die Seelen nicht verkaufen wird. Moraven wechselt das Thema und fragt nach einem Höllenschlund. „Er bietet uns die Informationen zum Aufenthaltsort eines solchen zum Preis für eine Seele an“, teilt die Halb-Elfe uns mit. Doch noch während wir über das Angebot nachdenken zieht ein rasch stärker werdender Wind auf. Nervös blickt sich der Teufel um und verschwindet schließlich. Finnvarra hat bereits mit den kräftigen Böen zu kämpfen und so eilen wir schleunigst zum nächsten Felsen. Layra entdeckt einen Spalt, in den wir uns hineinzwängen können. Dort verschanzen wir uns, mein Schild halte ich schützend vor mich.
Die Verdammten sind dem wütenden Sturm schutzlos ausgeliefert. Peitschende Winde schleudern einige durch die Luft, aber die Ketten verhindern, dass sie fortgerissen werden. Metallsplitter surren durch die Luft, bohren sich in die Körper der Toten und zerschneiden ihre Gliedmaßen. So vergehen einige Minuten, in welchen wir ausharren und auf ein Ende hoffen. Dann ist der Sturm so plötzlich vorbei, wie er gekommen ist. Mein Schild ist von Splittern gespickt. Ich mache mir nicht die Mühe die scharfkantigen Stücke herauszuziehen. Umgehend eilen wir zu den Verdammten. Sie liegen allesamt am Boden, Arme und Beine verdreht, aus ihren Körpern ragen kleine und große Eisenstücke. Abgetrennte Körperteile, aufgerissene Torsos, gespaltene Schädel – doch selbst diese Verletzungen bedeuten keine Erlösung für die bemitleidenswerten Kreaturen. „Wo finden wir einen Höllenschlund?“, frage ich den erstbesten. Ich erhalte keine Antwort. Ich stelle den nächsten die selbe Frage und will mich schon von diesem abwenden, als ich seine leise, gebrochene Stimme vernehme. „Keine Hoffnung. Es tut so weh.“ Es klingt, als würde sie von einem weit entfernten Ort stammen. Ich wiederhole meine Frage. „Ein riesiger Kopf“, stöhnt er und hebt seinen noch intakten Arm. Dieser zeigt vage in die Richtung, aus der die Verdammten kamen. Mit wenigen Hieben durchtrenne ich seine Ketten. Auch Grunda und Layra haben Mitleid mit den Kreaturen. „Woher stammen sie, wie kommt eine Seele in die Hölle?“, will Layra wissen. „Viele waren einst Diener Asmodeus, lebten nach seinen Grundsätzen. Sie werden nach ihrem Tod in seinem Reich aufgenommen.“ „Eine große Ehre“, schnaubt Magni. „Sie haben keine Erinnerungen an ihre Taten“, fährt Sera unbeirrt fort. „Es sind nicht die Lebewesen, welche sie einst waren, nur noch Schatten ihrer selbst. Wir können ihnen nicht helfen. Es steht nicht in unserer Macht ihre Qualen zu lindern oder sie von diesen zu erlösen. Nun, wir sollten in Bewegung bleiben, die Barbazu werden jeden Augenblick zurück sein.“
Tatsächlich tauchen diese wenige Minuten später wieder auf, doch da sind wir schon ein gutes Stück entfernt. Sie beobachten uns, nehmen jedoch nicht die Verfolgung auf. Wir ändern unseren Kurs und bewegen uns in die Richtung, aus welcher die Verdammten kamen, in der Hoffnung tatsächlich einen Höllenschlund zu finden. Dank Moravens musikalischer Unterstützung kommen wir gut voran, trotzdem ist die Reise sehr beschwerlich. Schwärme von flügellosen Wesen, hunderte oder gar tausende Kreaturen sehen wir über die endlosen Ebenen ziehen. Armeen für die Blutkriege vermutet Sera. Finnvarra schwingt sich deshalb nur selten in die Luft, um Ausschau zu halten nach dem großen Schlund, welcher uns in die größte Stadt des Multiversums bringen soll. In einiger Entfernung kann Layra den dunklen Fluss entdecken, jedoch kein Tor zur nächsten Ebene. Ununterbrochen begegnen wir einzelnen Verdammten, welche womöglich schon seit Jahrzehnten diese trostlosen Lande durchstreifen. Einige sind von Geröll verschüttet und liegen hilflos unter dem roten Himmel. Ich rolle einen Brocken beiseite und zerre einen von ihnen auf die Beine. Sein Fleisch ist weich und bietet keinen Widerstand, als sich meine Klauen darin vergraben. „Zeige uns den Weg zu einem Höllenschlund“, doch die Mühe ist vergebens. Ich erhalte keine Antwort, nur einen gequälten Blick.
Es vergehen einige Stunden bis Layra schließlich auf ein Schlachtfeld aufmerksam wird, welches sie vom Rücken Finnvarras hat ausmachen können. Dort liegen viele tote Teufel verstreut herum. Bei näherer Betrachtung stellen wir fest, dass deren Körper stark deformiert sind. Während ich den vor mir liegenden Tormentor beugtachte, fängt der Untergrund an zu vibrieren. Im nächsten Moment höre ich ein lautes Knacken hinter mir und wirble herum. Ein gigantischer Schatten ragt vor mir auf. Noch bevor ich auch nur mein Schwert zücken kann werde ich an den Beinen gepackt und von meinen Füßen in die Luft gerissen. Knochen knacken und ich drohe zerquetscht zu werden. In panischer Angst schreie ich auf, verwandle mich in einen Wolf, um dem eisernen Griff zu entkommen, doch vergebens. Nun erkenne ich was mich angefallen hat. Ein Skorpion, größer als die meisten Häuser, welche ich je gesehen habe. Unbemerkt lauerte er unter der Erde. In wenigen Momenten werde ich tot und mein Körper genauso entstellt sein wie die der Teufel unter mir. Die anderen haben offenkundig große Angst sich dem Wesen zu nähern. Aber Pfeile und Speere prallen wirkungslos an dem dicken Chitinpanzer ab. Einige Zauber halten mich noch am Leben. In humanoider Gestalt hätte mich diese Ausgeburt der Hölle längst zermalmt. Meine Begleiter sehen wohl ein, dass sie aus der Ferne nichts ausrichten können und versuchen dem Skorpion mit Hieben zuzusetzen. Ich stemme mich gegen die Kraft der mächtigen Schere, kämpfe einen schier endlosen Kampf ums Überleben. Dann gelingt es Eskel den Panzer zu durchbrechen. Sein Krummschwert steckt im Leib des Tieres. „Zurück!“, brüllt Magni und im nächsten Moment schmettert er seinen Hammer auf den Schwertknauf. Der Skorpion zuckt noch einige Sekunden und geht dann zu Boden. Ich schlage hart auf, meine Beine zermalmt.
Benommen liege ich da und bekomme das Treiben um mich her kaum mit. Vier Paar Hände wirken zeitgleich heilende Magie. Ich spüre, wie Knochen sich wieder zusammensetzen und allmählich lässt der Schmerz nach. Meine Glieder sind taub und ich schaffe es nicht aus eigenen Kräften aufzustehen. Als ich wieder zu mir gekommen bin, bemüht sich Moraven gerade das Schwert Eskels aus dem Leib des Angreifers zu ziehen. Er fördert eine gräulich stinkende Masse zu Tage, doch schließlich bekommt er die Waffe zu fassen. Finnvarra hat einen kräftigen Hieb des Stachels in die Flanke bekommen und er ist schwach, kann seine Flügel kaum bewegen. Layra flößt ihm einen Trank ein, doch der zeigt keine Wirkung. „Kein Wunder, schaut euch dieses infernalische Biest an. Wer weiß was das für ein Gift ist.“ Doch Seras Zauber neutralisieren das Gift und nach wenigen Augenblicken ist auch Finnvarra wieder auf den Beinen. Erschöpft schleppen wir uns weiter. Das Gefühl kehrt in meine Beine zurück. Ich bin noch immer benommen von den soeben erlittenen Schmerzen, als mich der Ruf des Greifen aus meinen Tagträumen reißt. Finnvarra hat etwas entdeckt!
Teil drei der vierzigsten Sitzung am Mittwoch, den 15. August 2018 in Frankfurt.
Mit Tobi, Dominik, Lucas, Ilka, Miles, Toni und mir.
1. Faquarls Verschwinden
Als ich geweckt werde, geht es mir richtig dreckig. Verärgert versuche ich den Mann fortzuschicken, doch er bleibt hartnäckig und so trete ich mit schmerzendem Kopf ins Freie. Ich spüre noch den Wein durch meine Adern fließen. Der Wachmann bittet mich mitzukommen, er sagt Eskel schickt ihn. Missmutig mache ich mich also auf den Weg und wechsle nicht viele Worte mit dem Kerl. Er sieht auch etwas übernächtigt aus und nimmt es mir deshalb wohl nicht übel.
Anstatt mich zur Burg zu bringen, werde ich ins Gasthaus geschickt, wo ich mir bei Anton direkt einen Krug Wasser und ein Stück Brot geben lasse, bevor ich nach Eskel frage. Der Wirt schickt mich in das Zimmer von Herrn Pendrot. Das ist völlig überfüllt. Neben dem Historiker sind, wenn ich mich nicht täusche, alle Rivas anwesend. Sie scheinen besorgt, allen voran Mina. Verzweifelt fragt sie mich, ob ich Faquarl gesehen hätte. Tatsächlich, der ist nicht da. Nun, das ist vielleicht eine merkwürdige Frage. Will sie denn wissen, ob er die Hochzeitsnacht bei uns im Lager verbracht hat? Aber die anderen sind nicht zum Scherzen aufgelegt. Man informiert mich, dass Faquarl seit heute Morgen verschwunden sei. Shae hat es als erste bemerkt, denn sie spürt Faquarls Anwesenheit auf weite Distanzen. Doch ihre Schilderungen sind unverständlich. Anscheinend kann sie nicht in Gedanken mit ihm sprechen, sondern lediglich fühlen was er fühlt. Das letzte was sie bemerkt habe war seine Aufregung. „War er verängstigt?“, fragt Mina, aber die Katze verneint. „Freudig erregt, keine Spur von Angst.“ Die Schilderungen ihrer Eindrücke geben uns nur noch mehr Rätsel auf. Mina berichten von zwei Wachen, welche ihren Mann aufgefordert hätten Vater Grigori aufzusuchen. Er ist also los, aber offenkundig nie bei dem Priester angekommen. Eskel vermutet deshalb einen Hinterhalt, eine Falle. Warum wir dann noch hier stehen und diese Mistkerle nicht aufspüren würden, will ich wissen. Doch sie haben anderes im Sinn.
Mit Erwils Hilfe würden sie in Kürze herausfinden, wo Faquarl sich aufhält. Wozu sie mich dann brauchen, fragte ich genervt. Ich will mich einfach wieder hinlegen und hätte nichts dagegen, mir einfach hier ein Zimmer zu nehmen. Sollen sie mich wecken, wenn er wieder aufgetaucht ist. Doch Eskel wirft mir einen Blick zu, welcher so viel sagt wie: „Wir werden deine Hilfe noch gebrauchen können.“ Das ich nicht lache, wie soll ich denn seine Spur verfolgen? In Narlgaard wimmelt es von Besuchern. Seine Fährte zwischen all diesen Gerüchen auszumachen halte ich für unmöglich. Ich bleibe also im Türrahmen stehen und schlucke weitere Kommentare herunter. Auch weil Mina arg aufgelöst scheint, sie kann einem echt leidtun. Moraven versucht sie zu beruhigen und versichert ihr, dass Erwil ihn sofort ausfindig machen wird. Doch der erste Zauber schlägt fehl und er muss es mit einem anderen versuchen. Dafür erhitzt Herr Pendrot Weihrauch, welcher mir beißend in die Nase zieht und den Raum in Nebel hüllt. Als Erwil beginnt unverständliche Worte zu murmeln, hebt er eine Handbreit von den Dielen ab und seine Augen fangen an zu leuchten, weiten sich, bis das Weiß deutlich hervortritt. Von einem Aufgenblick zum nächsten fällt er in sich zusammen und stürzt zu Boden. „Das muss ein Irrtum sein“, murmelte er immer und immer wieder, während Moraven ihm aufhilft. „Das muss ein Irrtum sein." Alle Blicke sind erwartungsvoll auf ihn gerichtet. "Ich sah ihn, auf einem Tisch. Seine Brust entzwei, Blut überall. Verschwommene Kreaturen. Rotes Licht, ein blutroter Himmel hinter einer gigantischen Stadt. Das kann nicht sein, das kann einfach nicht sein.“ Es ist still im Raum und keiner kann so recht glauben, was der Magier vor sich hin brabbelt.
Erwil selbst schlägt Layra vor einen weiteren Zauber auszuprobieren. Sie soll eine Frage stellen und die magische Energie überliefere ihr daraufhin die passende Antwort. Glücklicherweise hört sie nicht auf die Vorschläge des Fürsten und und bringt die Sache auf den Punkt: „Wo ist Faquarl?“ Ich warte auf eine Reaktion, doch es passiert nichts. Magni klärt mich auf, nur Layra könne die Antwort hören. „Sowohl sein Körper, als auch sein Geist, beide gehen durch die Hölle.“ Das soll die Wahrheit sein? Wie zum Teufel ist Faquarl in die Hölle gekommen? Zwei einfache Wachen können ihn doch nicht dorthin verschleppt haben? Das kann und will ich nicht glauben. Somit werden die Wachen kurzerhand ausfindig gemacht. Die behaupten weiterhin, dass Vater Grigori sie persönlich beauftragt habe. Sie sind also zu Faquarl, haben ihm die Nachricht überbracht, ihn aber nicht zum Tempel begleitet. Warum sollten die Kerle sich so etwas ausdenken?
Also geht es wieder zu Grigori, doch der weiß nichts davon. Er vermutet, dass jemand sich verkleidet und als Hohepriester ausgegeben hat. Das ist dieser merkwürdigen Maske wohl recht einfach. Die anderen lassen sich nicht abwimmeln und bitten ihn einen Wahrheitszauber auf sich selbst zu wirken und die Maske abzunehmen. Das das lässt der Priester nicht mit sich machen Das Tragen der Maske sei Teil des Ordens und den geforderten Zauber kann er erst wieder am nächsten Tag wirken. Stattdessen erhält Magni die Erlaubnis des Priesters mit Magie die Wahrheit herauszufinden. Der Zwerg bestätigt, dass der Maskenmann die Wahrheit sagt. Moraven erkundigt sich nach Jeremias, doch der ist momentan nicht anwesend und so bittet der Fürst den Priester seinen Gehilfen nach dem Verbleib Faquarls zu befragen. Grigori ist etwas erschüttert darüber, dass sowohl er, als auch sein Glaubensbruder verdächtigt werden. „Bevor ich in die Hölle reise, verdächtige ich erst einmal jeden“, entgegnet Eskel. Magni hingegen bitten unterwürfig bei dem Priester um Entschuldigung und Grunda ist, als sie von unserem Besuch bei ihrem Vorgesetzen erfährt über die Anschuldigungen aufgebracht. "Wir kommt ihr dazu einen Abgesandten des Abadar zu beschuldigen? Womöglich ist es die Prinzessin, welche uns an der Nase herumführt." Vater Grigori scheint weniger nachtragend, denn er verkauft Moraven für mehr Geld als ich jemals besessen habe ein ganzes Regal voller Tränke für die uns bevorstehende Expedition. Anschließend versucht der Barde noch auf eigene Faust herauszufinden, wo sich Jeremias aufhält, doch seine Magie ist zu schwach.
Der Fürst hat noch einen guten Einfall. Er eilt zum Magierturm, denn er vermutet Hinweise auf Faquarls Verschwinden in seinen Tagebüchern finden. Gedankenverloren macht er einen Kommentar, der Mina erneut aus der Fassung bring. „Vielleicht hat er einen Pakt mit einem Teufel geschlossen.“ Die Prinzessin erbleicht. „Einen Pakt mit einem Teufel? Was bedeutet das? Und warum sollte er das tun?“ Moraven zuckt nur mit den Schultern. Faquarl hat stapelweise Aufzeichnungen und es braucht einige Zeit sich darin zurecht zu finden. Mina steht etwas unsicher daneben, nicht einmal sie hat in diesen gelesen. Doch die Hoffnung einen entscheidenden Hinweis zu finden ist größer als die Sorge um das Missfallen des Magiers über die Neugierde seines Freundes. Der überfliegt eine Seite nach der nächsten und stößt dabei auf allerlei bemerkenswerte Dinge. „So viel hat der Turm gekostet? Sag Mina, stimmt das?“ „Entschuldigt bitte, ich weiß nichts von diesen Angelegenheiten“, erwidert sie verschüchtert. „Und von welchem Fundstück ist hier die Rede?“ „Nun, das wird das Bild der Elfe sein. Es hängt in seinen Gemächern. Es ist wirklich ein besonderes Bild, wollt ihr es sehen?“ „Nein danke“, entgegnet Moraven, „ich kenne es. Höchst interessant einen Einblick in die Machenschaften eures Mannes zu erhalten. Leider kann ich hier nichts finden, was uns weiterhilft.“ Ich muss schmunzeln, Faquarl hatte mir das Bild vor einiger Zeit im Keller der Hirschfeste gezeigt und erwähnt es hier aufhängen zu wollen.
Wir beraten uns, doch müssen feststellen nicht viel schlauer geworden zu sein. Faquarl befindet sich in der Hölle und will man der Vision des Magiers glauben, dann geht es nicht gut um ihn. Keine Zeit zu verlieren, wir müssen handeln. Erwil versucht uns Mut zu machen. „Solltet ihr beabsichtigen euren Freund zu retten, werdet ihr Hilfe brauchen. Sera wird euch überlebensnotwenige Informationen geben, Fragen beantworten und euch auch in die Hölle bringen können. Sie ist eine Expertin auf diesem Gebiet, hat schon viele Ebenenreisen unternommen und war auch bereits einige Male an dem Ort, an welchem sich Faquarl momentan aufhält. Ihr könntet keine bessere Ansprechpartnerin finden. Sie hat das Zimmer gleich nebenan und ist bereits in die wichtigsten Erkenntnisse eingeweiht.“
Ich habe die Halb-Elfe Frau Schwarzschwan bisher nur einige Male aus der Entfernung gesehen. Als sie vor mir steht, spüre ich die Erhabenheit, die sie ausstrahlt. Wenn sie spricht weiß ich nicht wo ich hinblicken soll, denn ihre Augen sind von einer eleganten, silbernen Maske verdeckt. Faquarl sagte mir, dass sie fast blind sei, doch sie bewegt sich sehr sicher durch den Raum. „Erwil berichtete mir jede Einzelheit seiner Vision und wir sind gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass Herr Magister Faquarl Lodowka von Riva sich in Dis befindet, der zweiten Ebene der Hölle und größten Stadt des Multiversums.“ Mit ruhiger Stimme, welche ihren Worten Gewicht verleihen und Schreckensbilder vor unseren inneren Augen heraufbeschwört, berichtet sie von diesem Ort. Allein der Aufenthalt dort ist tödlich. Es gibt nicht viele existenzfeindlichere Orte als die Hölle. Die Luft wird unsere Lungen verbrennen. Glücklicherweise kann sie uns zeitweise davor schützen. Die Hölle besteht aus sieben verschiedenen Ebenen oder Schichten, so genau habe ich das nicht verstanden. Jedenfalls sorgt Asmodeus der Höllengott selbst dafür, dass man mit Magie nur auf die erste Ebene, den Avernus, gelangt. Von dort aus muss man in tiefere Schichten vordringen, was nicht so einfach ist. Der Avernus ist eine ewige Wüste, in welcher die Kreaturen der Hölle ihre Kriege austragen und die sie vor Eindringlingen verteidigen. Sobald wir auf dieser Ebene stranden, werden sie uns angreifen. Haben wir die erste Welle überstanden, müssen wir unbemerkt reisen. Es gibt einige Möglichkeiten auf die zweite Ebene nach Dis zu gelangen. Beständige Portale ermöglichen es die Stadt zu betreten, doch in ihrer Nähe wurden gewaltige Festungen von hochrangigen Teufeln errichtet. Diese Tore werden von gewaltigen Armeen bewacht. Des Weiteren gibt es den schwarzen Fluss Styx, welcher durch alle Ebenen der Hölle fließt. Doch wer mit dem Wasser in Kontakt kommt, verliert auf immer sein Gedächtnis. Am wenigsten gefährlich, so schätzt es Sera ein, sei die Reise durch einen Höllenschlund. Dabei handelt es sich um lebendige Mäuler, welche zwei Höllenebenen miteinander verbinden. „Wie findet man einen solchen Schlund?“, will Moraven wissen. „Mit viel Glück.“ Sollte uns das nicht gelingen, bleibt noch eine letzte Möglichkeit, womöglich die sicherste von allen, doch der Preis ist hoch: Der Pakt mit einem Teufel. Teufel sind bekannt dafür ihre Dienste im Tausch gegen eine oder mehrere Seelen anzubieten. Diese erhalten sie im Gegenzug für ihre Dienste nach dem Tod des Unglücklichen. Was das bedeutet, das kann ich mir nicht vorstellen. Den Gesichtern der anderen nach zu urteilen geht es ihnen ähnlich. Der Weg nach Dis scheint schwieriger zu sein, als der Weg zurück. Sera versichert uns, dass sie uns alle aus der Hällenstadt nach Narlgaard teleportieren könne. „Aber wie sollen wir in Dis unbemerkt bleiben?“, will Eskel wissen. Sera muss schmunzeln. „Dis ist ein lebendiger Ort. Millionen von Kreaturen leben dort, wir werden nicht unentdeckt bleiben. Aber das müssen wir auch nicht. Dort leben die absonderlichsten Kreaturen, das ist richtig. Aber es ist kein Ort, an welchem sich nur Monster herumtreiben. Händler aus dem gesamten Multiversum verkaufen dort ihre Waren. Ich habe eine Bekannte in Dis, das könnte eine sichere Anlaufstelle sein – vorausgesetzt wir finden sie. Ich muss euch warnen. Eine Reise in die Hölle ist tödlich und noch könnt ihr euch nicht ausmalen, was euch erwartet. Ich werde euch zwar mit Rat zur Seite stehen, aber euch vor den Kreaturen dort beschützen, das vermag ich nicht.“
Die Worte Seras haben sichtlich Wirkung gezeigt. Es ist still im Raum, keiner wagt etwas zu sagen. In den Gesichtern erkenne ich Verunsicherung und Angst. Selbst Grunda wirkt niedergeschlagen, doch sie ist die erste, welche sich erhebt. „Nun, wer kommt mit?“ Kurzentschlossen melde ich mich, woraufhin, nach kurzem Zögern, auch Eskel und Moraven aufstehen. Will der Fürst tatsächlich mitkommen? Er wirkt kränklich und scheint mir auch in guten Tagen kein Krieger zu sein. Was will der Mann mit seiner Laute gegen eine Heerschar von Teufeln ausrichten? Er mag ein begnadeter Redner sein, aber diese Kreaturen werden dem charmanten Mann wohl mit anderen Absichten um den Hals fallen, als die Töchter hoher Adliger. Doch mir steht es nicht zu die Entscheidung des Fürsten anzuzweifeln und so halte ich meinen Mund. Layra zögert noch einen Moment verkündet dann aber sich gemeinsam mit Finnvarra dem Rettungstrupp anschließen zu wollen. Erwartungsvoll blicken wir ins Gesicht des Zwergen, welcher mit leerem Blick aus dem Fenster starrt. Erschrocken wendet er sich uns zu. „Nun, natürlich komme ich auch mit. Ich habe nur … mir schon mal einige Gedanken gemacht wie wir am besten vorgehen.“ Auch Shae will sich uns anschließen, doch Sera muss sie vertrösten. Die Hölle sei kein Ort für eine kleine Agathion. Zudem könne sie nicht unbegrenzt viele Kreaturen mitnehmen, dazu reichten ihre Kräfte nicht aus. Frau Herbstflügel pflichtet ihr bei. „Ich werde ebenfalls hierbleiben. Kümmert euch um Mina, leistet ihr Beistand. Sie wird euch brauchen.“
Als dies entschieden ist wird eine riesige Truhe aus der Burg ins Zimmer Erwil Pendrots geschleppt. Darin befinden sich mehr Münzen, als ich zählen kann. Zwischen ihnen funkelnde Steine und andere Gegenstände von unschätzbarem Wert. All das geben sie Herrn Pendrot, der davon einen mächtigen magischen Gegenstand im fernen Absalom kaufen soll. Der Magier ist in der Lage sich zu teleportieren und ist zuversichtlich schnell zu finden, nach was wir suchen. Was das für ein Gegenstand sei, will ich wissen. Man informiert mich, dass man am besten mit versilberten oder gut gesinnten Waffen gegen Teufel kämpft. „Weg damit!“, fauche ich Eskel an, als er mir ein silbernes Schwert reicht. Niemals werde ich so etwas auch nur in die Hand nehmen. Sollen Zauberkundige meine Waffe weihen. Einige Stunden später, es hat bereits zu dämmern begonnen, kehrt Herr Pendrot mit einem Amulett zurück. Das fragile Band wird aufgetrennt und durch eine schwere Eisenkette ersetzt. Dann legt man es dem Greifen um den Hals. Magni steckt einige Münzen ein Es ist kein gewöhnliches Zahlungsmittel. Der Zwerg zeigt mir stolz die fremdländischen Prägungen. "Sie stammen von anderen Existenzebenen. Es sind auch welche aus Dis dabei." Er hält mir eine goldene Münze unter die Nase, auf welcher ein Kreis zu sehen ist, aus dem sternförmige Zacken ragen. Es scheint mir eine sehr gute Idee diese mitzunehmen.
Bevor wir unsere Reise beginnen, weihe ich Sera in mein kleines Geheimnis ein. Ich verwandle mich in ein Mischwesen aus Mensch und Wolf, einen Werwolf, denn in dieser Gestalt bin ich weniger verwundbar. Außerdem kann es in der Hölle nicht schaden etwas furchteinflößender zu erscheinen. Anstatt erschrocken zurück zu weichen, lächelt Sera beeindruckt. Auch Magni nimmt seinen Helm ab und zum ersten Mal erblicke ich das Antlitz des Dunkelzwergs. „Ihr Rivas seid immer für eine Überraschung gut.“, entgegnet Frau Schwarzschwan. Ihren Fehler korrigiere ich nicht, es fühlt sich gut an mit einem Adelstitel angesprochen zu werden. Ein Gefühl dazu zu gehören. Dann stellen wir uns in einem Kreis auf, fassen uns an den Händen und Sera beginnt den Zauber zu wirken.
2. Unendliche Ödnis
Eine gewaltige Kraft reißt uns nach oben und durch die Decke. Ich zucke zusammen und im nächsten Moment sehe ich Golarion unter mir verschwinden. Die Farben um uns verschwimmen und weichen erst totaler Schwärze und dann einem blutroten Himmel. Es gibt einen Ruck und ich spüre wieder Boden unter meinen Füßen. Doch sofort springe ich auf. Der Untergrund ist glühend heiß und in meinem Fuß steckt ein Metallsplitter. Beim ersten Atemzug muss ich husten. Meine Lunge brennt und ich habe das Gefühl zu ersticken. Eskel gibt mir ein Zeichen die Luft anzuhalten. Ich versuche nicht zu atmen. Schwefelgestank steigt in die Nase. Mir wird schwindelig. Der schwarze Untergrund fängt an sich zu bewegen und die Hitze bringt mich um den Verstand. Dann spüre ich eine Berührung an meiner Schulter und die Hitze um mich herum lässt nach. Vor mir steht die Halb-Elfe und gibt mir mit einem Lächeln zu verstehen, dass ich nun wieder atmen kann. Ich hole tief Luft, fülle meine Lungen und beruhige mich allmählich. Schnell hat sie uns alle mit dem lebensrettenden Zauber belegt, welcher uns an die Gegebenheiten dieses Ortes anpasst. „Wie viel Zeit haben wir, bis die Magie nachlässt?“, will Grunda wissen. „Genug Zeit um uns zurecht zu finden, zu wenig um hier zu rasten.“ Das klingt nicht sonderlich vielversprechend. Aber für den Moment bin ich heilfroh um die Hilfe der geheimnisvollen Frau. Einzig die Metallsplitter, welche aus dem Boden ragen sind weiterhin messerscharf und jeder Schritt muss mit Bedacht gewählt werden. Auch erkenne ich, dass aus den Ritzen Blut quillt und sich tatsächlich darunter etwas zu bewegen scheint. Gedärme und Innereien drücken gegen die verkrustete Oberfläche. „Die Überreste von Kreaturen, welche hier ihren Tod fanden“, klärt uns Sera auf. „Seit Jahrtausenden werden hier Kriege ausgetragen. Die Blutkriege zwischen Dämonen und Teufeln sind besonders heftig und auch Heerscharen von Engeln ließen hier ihr leben. Nicht selten kommt es auch zu Schlachten zwischen verfeindeten Erzteufeln. All die Toten speisen den Avernus seit Jahrtausenden.“ Ich wende mich von diesem Anblick ab und lasse meinen Blick in die Ferne schweifen. Was ich zu sehen bekomme ist nicht erfreulicher. Vor uns erstreckt sich eine gewaltige Wüste. Am Horizont erkenne sind zerklüftete, scharfkantige, metallisch anmutende Berge zu erkennen. Sera kann offenkundig nicht sonderlich weit sehen, ihr Blick ist stets auf den Boden geheftet und wir nehmen sie schützend in unsere Mitte. In den kommenden Stunden werden wir ihr stets unsere Eindrücke schildern. Sie kann uns helfen die merkwürdigen Phänomene, welche wir um uns herum wahrnehmen zu verstehen. Jetzt sehen wir sie erwartungsvoll an: Wie geht es weiter?
Frau Schwarzschwan streckt ihre Hand aus und berührt einen Ring an ihrem Finger. Eine schwebende Karte erscheint aus dem Nichts, zweifelsfrei ein Abbild der Hölle. Meine Hand fährt durch sie hindurch und ich erkenne mit Erstaunen, dass es nur eine Illusion ist, eine Karte aus Licht. Mit flinken, wischenden Bewegungen verändert Sera den Ausschnitt und langsam wird uns das Ausmaß dieser Einöde bewusst. „Prägt euch ein, was ihr hier seht. Ich werde die Karte nur ein einziges Mal zu Rate ziehen können.“ Gemeinsam über sie gebeugt versuchen wir uns zu orientieren. Wir sehen Gebirgszüge, Festungen von Erzteufeln und auch den schwarzen Fluss. Moraven hält Ausschau nach einem Höllenschlund, doch Sera gibt zu bedenken, dass jene nicht eingezeichnet sind, da sie nicht dauerhaft bestehen. „Wenn Ihr vor einem stehst, werdet Ihr ihn als solchen erkennen. Sie sind stets verschieden, doch allen ist eines gemein: Es sind große Mäuler, Tore in die darunter liegende Ebene, Tore nach Dis.“ Als wir unseren Standpunkt in etwa bestimmt haben, müssen wir uns entscheiden. Wie wollen wir vorgehen? Auf gut Glück durch den Avernus zu streifen und nach einem Höllenschlund Ausschau zu halten scheint keine Option zu sein. Auch wird es nicht möglich sein unbemerkt durch die streng bewachten dauerhaften Portale zu reisen. Somit bleiben nur noch zwei Optionen: der Styx oder ein Pakt mit einem Teufel. „Beide Gefahren sind absurd“, entgegnet Sera. Sie ist keine große Hilfe, wenn es darum geht Entscheidungen zu fällen. Weil Grunda und Moraven sich beide vehement gegen Abkommen mit Teufeln aussprechen, beschließen uns in Richtung des schwarzen Flusses aufzubrechen.
Bereits nach sehr kurzer Zeit begegnen wir einer erste Kreatur. Eine humanoide Gestalt, welche allein durch die Einöde schlurft. Ich vermute, dass es sich um einen Untoten handelt, aber wieder liege ich falsch. „An diesen Anblick werdet ihr euch gewöhnen müssen“, bemerkt Sera. Es handle sich um die Seelen von Toten, sogenannte 'Verdammte', welche ziellos umherstreifen und ständige Qualen leiden. Ich verstehe nicht, wie tote Kreaturen Qualen leiden und durch die Gegend spazieren können. Aber der Gesichtsausdruck des Gepeinigten verrät tatsächlich nichts als Leid und bestürzt wende ich mich ab. Glücklicherweise scheinen sie keine Gefahr darzustellen. Layra will wissen wie man ihnen helfen kann, doch Moraven entgegnet bestimmt, dass es nicht unsere Aufgabe ist jede verdammte Seele aus der Hölle zu retten.
Plötzlich erscheint aus dem Nichts in einiger Entfernung ein Teufel. Im nächsten Moment ist er auch schon wieder verschwunden. In den kommenden Minuten erscheinen und verschwinden in immer kürzer werdenden Abständen viele weitere Teufel. Ihre Zahl ist nicht abzuschätzen, da wir nicht wissen, ob es sich stets um dieselben Kreaturen handelt. Sie scheinen in der Lage sich jederzeit teleportieren zu können. Noch sind sie weit entfernt, aber sie nähern sich beständig. „Es beginnt, macht euch bereit“, haucht Sera uns zu. Bald können wir erkennen, dass es sich um verschiedenartige Kreaturen handelt. Einerseits muskelbepackte Tormentoren, im Volksmund auch Peinigerteufel genannt, welche mit ihren Netzen Seelen einfangen und andererseits rote, bärtige Teufel mit Glefen in den Händen. „Das sind Barbazu. Nehmt euch in Acht, ihre Waffen hinterlassen Wunden, welche nur schwer durch Heilzauber verschlossen werden können.“ Zudem nähert sich ein Nessianischer Höllenhund, so groß wie Finnvarra. Um seinem Feueratem zu umgehen, streben wir auseinander. Der folgende Kampf ist heftig und kurz. Grunda macht mit dem Höllenhund kurzen Prozess und dank geweihter Waffen sind unsere Hiebe tödlich. Schnell erkennen unsere Widersacher, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen ist. Die letzten fliehen, bevor wir ihnen ein Ende bereiten können. Magni und Eskel haben übelriechende, schwarze Wunden von den Waffen der Bartteufel davongetragen. Der Zwerg zückt einen scharfen Dolch und schneidet erst dem Alchemisten, dann sich selbst unerschrocken das verbrannte Fleisch heraus. Der grimmige, schmerzverzerrte Gesichtsausdruck entspannt sich, als Layra und Sera die Wunden versorgen.
Wir setzen unsere Reise fort und nähern uns allmählich den spitzen eisernen Gipfeln. Unvermittelt tauchen drei Dutzend Verdammte hinter einer Felsformation auf. Sie sind mit Ketten aneinandergebunden und werden von vier Barbazu unerbittlich angetrieben. Sofort verstellt einer der Bartteufel uns den Weg. Doch anstatt zum Angriff über zu gehen, spricht er uns an. Ich kann die klackernden Geräusche nicht verstehen. Sera jedoch antwortet ihm jedoch auf infernal. Die beiden scheinen etwas zu verhandeln. Sie findet heraus, dass die Verdammten zu einer Festung gebracht werden, wo sie als Baumaterial herhalten sollen. Frau Schwarzschwan erkläre uns bereits, dass aus den toten Seelen mächtige Bauten errichtet werden oder sie nach langer Leidenszeit zu Lemuren, den niedersten Teufeln, geformt werden. Für eine ungehinderte Weiterreise verlangt er einen Tribut. Moraven schlägt ihm stattdessen vor ihm die Verdammten abzukaufen. Ich bin von dem Vorschlag überrascht. Eben noch machte er klar, dass er uns nicht in der Pflicht sieht uns um die zahllosen Seelen zu kümmern und jetzt das? Was sollen wir mit diesen absonderlichen Kreaturen anfangen? Magni und Eskel verdrehen hingegen nur die Augen. „Der Fürst hat stets die aberwitzigsten Ideen. Gewöhn dich daran, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein“, flüstert der Zwerg hinter vorgehaltener Hand. Sera erklärt ihm, dass der Teufel die Seelen nicht verkaufen wird. Moraven wechselt das Thema und fragt nach einem Höllenschlund. „Er bietet uns die Informationen zum Aufenthaltsort eines solchen zum Preis für eine Seele an“, teilt die Halb-Elfe uns mit. Doch noch während wir über das Angebot nachdenken zieht ein rasch stärker werdender Wind auf. Nervös blickt sich der Teufel um und verschwindet schließlich. Finnvarra hat bereits mit den kräftigen Böen zu kämpfen und so eilen wir schleunigst zum nächsten Felsen. Layra entdeckt einen Spalt, in den wir uns hineinzwängen können. Dort verschanzen wir uns, mein Schild halte ich schützend vor mich.
Die Verdammten sind dem wütenden Sturm schutzlos ausgeliefert. Peitschende Winde schleudern einige durch die Luft, aber die Ketten verhindern, dass sie fortgerissen werden. Metallsplitter surren durch die Luft, bohren sich in die Körper der Toten und zerschneiden ihre Gliedmaßen. So vergehen einige Minuten, in welchen wir ausharren und auf ein Ende hoffen. Dann ist der Sturm so plötzlich vorbei, wie er gekommen ist. Mein Schild ist von Splittern gespickt. Ich mache mir nicht die Mühe die scharfkantigen Stücke herauszuziehen. Umgehend eilen wir zu den Verdammten. Sie liegen allesamt am Boden, Arme und Beine verdreht, aus ihren Körpern ragen kleine und große Eisenstücke. Abgetrennte Körperteile, aufgerissene Torsos, gespaltene Schädel – doch selbst diese Verletzungen bedeuten keine Erlösung für die bemitleidenswerten Kreaturen. „Wo finden wir einen Höllenschlund?“, frage ich den erstbesten. Ich erhalte keine Antwort. Ich stelle den nächsten die selbe Frage und will mich schon von diesem abwenden, als ich seine leise, gebrochene Stimme vernehme. „Keine Hoffnung. Es tut so weh.“ Es klingt, als würde sie von einem weit entfernten Ort stammen. Ich wiederhole meine Frage. „Ein riesiger Kopf“, stöhnt er und hebt seinen noch intakten Arm. Dieser zeigt vage in die Richtung, aus der die Verdammten kamen. Mit wenigen Hieben durchtrenne ich seine Ketten. Auch Grunda und Layra haben Mitleid mit den Kreaturen. „Woher stammen sie, wie kommt eine Seele in die Hölle?“, will Layra wissen. „Viele waren einst Diener Asmodeus, lebten nach seinen Grundsätzen. Sie werden nach ihrem Tod in seinem Reich aufgenommen.“ „Eine große Ehre“, schnaubt Magni. „Sie haben keine Erinnerungen an ihre Taten“, fährt Sera unbeirrt fort. „Es sind nicht die Lebewesen, welche sie einst waren, nur noch Schatten ihrer selbst. Wir können ihnen nicht helfen. Es steht nicht in unserer Macht ihre Qualen zu lindern oder sie von diesen zu erlösen. Nun, wir sollten in Bewegung bleiben, die Barbazu werden jeden Augenblick zurück sein.“
Tatsächlich tauchen diese wenige Minuten später wieder auf, doch da sind wir schon ein gutes Stück entfernt. Sie beobachten uns, nehmen jedoch nicht die Verfolgung auf. Wir ändern unseren Kurs und bewegen uns in die Richtung, aus welcher die Verdammten kamen, in der Hoffnung tatsächlich einen Höllenschlund zu finden. Dank Moravens musikalischer Unterstützung kommen wir gut voran, trotzdem ist die Reise sehr beschwerlich. Schwärme von flügellosen Wesen, hunderte oder gar tausende Kreaturen sehen wir über die endlosen Ebenen ziehen. Armeen für die Blutkriege vermutet Sera. Finnvarra schwingt sich deshalb nur selten in die Luft, um Ausschau zu halten nach dem großen Schlund, welcher uns in die größte Stadt des Multiversums bringen soll. In einiger Entfernung kann Layra den dunklen Fluss entdecken, jedoch kein Tor zur nächsten Ebene. Ununterbrochen begegnen wir einzelnen Verdammten, welche womöglich schon seit Jahrzehnten diese trostlosen Lande durchstreifen. Einige sind von Geröll verschüttet und liegen hilflos unter dem roten Himmel. Ich rolle einen Brocken beiseite und zerre einen von ihnen auf die Beine. Sein Fleisch ist weich und bietet keinen Widerstand, als sich meine Klauen darin vergraben. „Zeige uns den Weg zu einem Höllenschlund“, doch die Mühe ist vergebens. Ich erhalte keine Antwort, nur einen gequälten Blick.
Es vergehen einige Stunden bis Layra schließlich auf ein Schlachtfeld aufmerksam wird, welches sie vom Rücken Finnvarras hat ausmachen können. Dort liegen viele tote Teufel verstreut herum. Bei näherer Betrachtung stellen wir fest, dass deren Körper stark deformiert sind. Während ich den vor mir liegenden Tormentor beugtachte, fängt der Untergrund an zu vibrieren. Im nächsten Moment höre ich ein lautes Knacken hinter mir und wirble herum. Ein gigantischer Schatten ragt vor mir auf. Noch bevor ich auch nur mein Schwert zücken kann werde ich an den Beinen gepackt und von meinen Füßen in die Luft gerissen. Knochen knacken und ich drohe zerquetscht zu werden. In panischer Angst schreie ich auf, verwandle mich in einen Wolf, um dem eisernen Griff zu entkommen, doch vergebens. Nun erkenne ich was mich angefallen hat. Ein Skorpion, größer als die meisten Häuser, welche ich je gesehen habe. Unbemerkt lauerte er unter der Erde. In wenigen Momenten werde ich tot und mein Körper genauso entstellt sein wie die der Teufel unter mir. Die anderen haben offenkundig große Angst sich dem Wesen zu nähern. Aber Pfeile und Speere prallen wirkungslos an dem dicken Chitinpanzer ab. Einige Zauber halten mich noch am Leben. In humanoider Gestalt hätte mich diese Ausgeburt der Hölle längst zermalmt. Meine Begleiter sehen wohl ein, dass sie aus der Ferne nichts ausrichten können und versuchen dem Skorpion mit Hieben zuzusetzen. Ich stemme mich gegen die Kraft der mächtigen Schere, kämpfe einen schier endlosen Kampf ums Überleben. Dann gelingt es Eskel den Panzer zu durchbrechen. Sein Krummschwert steckt im Leib des Tieres. „Zurück!“, brüllt Magni und im nächsten Moment schmettert er seinen Hammer auf den Schwertknauf. Der Skorpion zuckt noch einige Sekunden und geht dann zu Boden. Ich schlage hart auf, meine Beine zermalmt.
Benommen liege ich da und bekomme das Treiben um mich her kaum mit. Vier Paar Hände wirken zeitgleich heilende Magie. Ich spüre, wie Knochen sich wieder zusammensetzen und allmählich lässt der Schmerz nach. Meine Glieder sind taub und ich schaffe es nicht aus eigenen Kräften aufzustehen. Als ich wieder zu mir gekommen bin, bemüht sich Moraven gerade das Schwert Eskels aus dem Leib des Angreifers zu ziehen. Er fördert eine gräulich stinkende Masse zu Tage, doch schließlich bekommt er die Waffe zu fassen. Finnvarra hat einen kräftigen Hieb des Stachels in die Flanke bekommen und er ist schwach, kann seine Flügel kaum bewegen. Layra flößt ihm einen Trank ein, doch der zeigt keine Wirkung. „Kein Wunder, schaut euch dieses infernalische Biest an. Wer weiß was das für ein Gift ist.“ Doch Seras Zauber neutralisieren das Gift und nach wenigen Augenblicken ist auch Finnvarra wieder auf den Beinen. Erschöpft schleppen wir uns weiter. Das Gefühl kehrt in meine Beine zurück. Ich bin noch immer benommen von den soeben erlittenen Schmerzen, als mich der Ruf des Greifen aus meinen Tagträumen reißt. Finnvarra hat etwas entdeckt!
Teil drei der vierzigsten Sitzung am Mittwoch, den 15. August 2018 in Frankfurt.
Mit Tobi, Dominik, Lucas, Ilka, Miles, Toni und mir.