Eine Erzählung von Faquarl
Ein spöttisches Lachen erklingt von einem fernen Ort. Ich presse meine Kiefer aufeinander, sodass die Wangenknochen hervorstehen und stoße einen gepressten Fluch aus. Ihm wird das Lachen noch vergehen! Kevil wischt die Enttäuschung mit einer gespielt lässigen Handbewegung beiseite. „Ein Versuch war’s wert. Recht hattest Du.“ Das ist wahr. Ich hatte geahnt, dass Fahrograz zu mächtig sei, um ihn aus seiner Festung in dieses Drecksloch zu rufen. Wir schweigen eine Weile und starren auf die feinen, mit Silberpulver gezogenen Linien auf dem Boden. Ich werde der Festung der gebrochenen Ketten einen weiteren Besuch abstatten müssen, um die Maske Keon Chuls zu suchen und dem Interlokutor zu nehmen was mir gehört.
„Dann muss ich eben zu ihm kommen.“ Mein Blick ruht auf dem Hexenmeister und mehr braucht es nicht, um herauszufinden, ob er mich begleiten wird. Ein verwirrter Blick. Eine unsichere Handbewegung durch die zotteligen Haare. Ein nervöses Nesteln an seinem Umhang. Und dann beobachte ich, worauf ich gewartet habe. Ein Lächeln umspielt seine Züge. Ich kann seine Gedanken förmlich hören. „Was wird Moraven dazu sagen?“ Stumm antworte ich ihm mit einem vielsagenden Blick. „Wenn wir ihm nichts sagen, wird er auch nichts einwenden können.“ Kevil steckt noch immer die missglückte Teufelsbeschwörung in den Knochen. Doch war er es, der vorschlug den Interlokutor zu rufen und auch jetzt macht er keinen Rückzieher.
Noch vor Anbruch des nächsten Tages halte ich den stumpfen, ovalen Spiegel in den Händen und imitiere den grotesken Gesang, welchen mich der Ostiarius lehrte. Ich presse absonderliche Klick- und Gurgellaute hervor, muss jedoch ein ums andere Mal wieder von vorne beginnen. Als ich es beinahe vollbracht habe, zumindest meine ich das, dringen Kevils Gedanken in mein Bewusstsein. Anscheinend höre ich mich an wie ein elendig verreckendes Insekt. Ungehalten bitte ich ihn seine Gedanken vor den meinen abzuschirmen und schalle mich selbst einen Dummkopf den Telepathie-Zauber nicht zu einem späteren Zeitpunkt gewirkt zu haben. Beim nächsten Anlauf gelingt es. Den Spiegel in den Händen haltend werden wir mit dem Kopf voraus hineingesogen, unsere Körper förmlich in die Länge gezogen und im nächsten Moment befinden wir uns in der Festung der gebrochenen Ketten.
Hustend und röchelnd krümmt sich Kevil und schnappt nach Lust, doch das, was seine Lungen füllt, bringt keine Erleichterung. „Wenn Du noch lauter stirbst, hört selbst Valxefesh’zar uns aus ihrer Bibliothek“, spotte ich in Gedanken, noch während ich den Zauber wirke, welcher die ersehnte Erleichterung bringt. Anscheinend hat man uns nicht gehört, denn wir können ungestört den Spiegel in das dafür vorgesehene Becken legen, um dessen Magie wiederherzustellen. Die dunkle Flüssigkeit kräuselt sich und interessiert verfolge ich die grauen Schlieren, welche sich wie ein Gewitter zusammenbrauen. Als das Wasser klar geworden, nehme ich die Beschwörungsaura wahr und weiß, dass das Ritual geglückt ist.
Leise öffnen wir die mit Ketten beschlagene Tür und treten hinaus auf die Empore. Aus der unter uns liegenden Halle vernehmen wir infernalische Gebete. Vorsichtig nähern wir uns der Balustrade und blicken hinunter. Vor der gigantischen und furchteinflößenden Vevelorstatue, bei deren Anblick es mir noch immer kalt den Rücken hinunterläuft, haben sich ein Dutzend Kytone in einem Halbkreis versammelt: einige Suffragan und Lampadarius, ein Evangelist, ein Ostiarius, ein Sakristan, der Interlokutor und ein weiterer Kyton mit unförmigem Unterleib, welchen ich zuvor noch nicht gesehen habe. Für einen Moment meine ich, dass sie uns nicht bemerkt haben könnten, doch ihre Gesänge verhallen und die Kytone wenden sich von ihrer Gottheit ab und blicken zu uns hinauf. Schließlich, als letztes, dreht sich auch das mir bisher unbekannte Wesen um und ich sehe mich einer Termagant gegenüber. Der entfernt weiblich anmutende Oberkörper wirkt muskulös, was aber auch daran liegen mag, dass die dunkelrot glänzenden Muskelstränge ungeschützt daliegen. Unterhalb der Brust wölbt sich ein gigantischer Unterleib, wie ein prall gefüllter, von Adern durchzogener Ledersack aus dem wiederum fleischige, meterlange Tentakel entspringen, welche jeweils in einer gebogenen Klaue enden. Während er sich langsam schwebend auf uns zu bewegt, schleifen ihre fleischigen Auswüchse über dem Boden. In kurzen, prägnanten Gedankenfetzen teile ich Kevil mit, was ich über diesen Kyton zu wissen glaube. Dies ist zweifelsohne die mächtigste Kreatur in diesen Hallen. Eine geschickte Kämpferin, welche Freude darin findet, ihre Feinde mit Giften zu foltern.
„Wer wagt es unsere Zeremonie zu stören?“ Die Stimme der Termagant scheint tief aus ihrem Innern zu hallen. Noch bevor Kevil eine schlagfertige Antwort über die Lippen bringt, antwortet Fahrograz. „Das sind sie. Das sind die Sterblichen!“ Sie mustert uns abschätzig. „Das sind diejenigen, die mit den falschen Propheten gemeinsame Sache machen?“ Die Termagant ist offenbar angesichts unserer unscheinbaren Gestalt ernüchtert. Kevil und ich blicken uns irritiert an. Woher weiß Fahrograz von den falschen Propheten? Ich überspiele meine Verwirrung und grüße Fahrograz wie einen alten Freund. „Es hätte mich gewundert, euch nicht wiederzusehen“, entgegnet er emotionslos. Ärgerlich bringt die Termagant ihn zum Schweigen. „Still! Von hier an übernehme ich!“
Aus mir unerfindlichen Gründen hegt sie ein Interesse an den falschen Propheten und nötigt uns zu erzählen, was wir über sie wissen. Ich schließe die Augen und sehe die Skulptur eines falschen Propheten vor mir. Ein Geschenk Mareens aus der Galerie der Ovide. Eine Metapher, die Materialisation eines Gedankens. Mit einer kurzen Formel lasse ich ein Trugbild in der Halle schweben. Eine abstrakte Gestalt, rotierend, Form und Farbe in ständigem Fluss. Ernüchtert bemerke ich, dass ich selbst durch eine magische Illusion nicht im Stande bin, Ovides Kunstwerk ansatzweise zu imitieren. Die Kytonen jedoch verfolgen gebannt die sich über ihnen drehende Figur, während ich erzähle, was ich zu wissen meine. „Die falschen Propheten, so sagte Ovide, sind grausame Wesen, welche weder wahrnehmbar noch vorstellbar seien. Sie meinte ihre Existenz erkannt zu haben, wodurch sie in einen Zustand verfiel, welchen meine Freunde als Wahnsinn bezeichneten. Sie sprach von Transzendenz, dem Ende des Multiversums und verhöhnte die Götter. Die Götter, so sagte sie, seien Wesen wie Du und ich.“ Dabei deute ich auf die Statue des Vevelor. „Zwischen ihm und dir besteht kein kategorischer Unterschied. Nicht einmal zwischen einem bemitleidenswerten Auguren und Zon-Kuthon. Die Götter sind Gefangene des Multiversums.“ Ich lasse die Worte einige Sekunden wirken, bevor ich fortfahre. „Die falschen Propheten entziehen sich jedoch der Logik des Multiversums. Sie stehen außerhalb von ihr und sind ihren Gesetzen nicht unterworfen.“ Erstaunt stelle ich fest, dass die Kytonen wie gebannt an meinen Lippen hängen und ich meine aus den entstellten Gesichtern völlige Verständnislosigkeit ablesen zu können. „Im Erscheinen meiner Freunde in der Kunstgalerie sah sie den Beweis für die Existenz der falschen Propheten. Im Besitz dieser Erkenntnis erschien Ovide ihre eigene Existenz als wertlos und sinnentleert.“ Es fällt mir nicht schwer dies zu memorieren und für Zuhörer mag dieser Vortrag entweder wie der eines Verwirrten oder der eines Erleuchteten klingen. Jedoch muss ich eingestehen, dass ich die Bedeutung meiner eigenen Worte nicht fassen kann und offensichtlich ergeht es den Kytonen nicht anders.
„Es ist genau so wie der Betrachter es berichtet“, stellt die Termagant fest. „Es geht um so viel mehr. Ich bin nicht mehr als ein Botschafter aller Kytone.“ Der Betrachter also. Sie haben mit dem Wächter der Kunstgalerie gesprochen. Jener Kreatur, welche Mina folterte, meinen Freunden absonderliche Fragen stellte und Roswen gefangen hielt. Daher die Fragen nach den falschen Propheten. Ich will wissen, was er den Kytonen erzählt hat, bekomme jedoch nur ein ums andere Mal erklärt, dass er alles vorausgesehen hätte. „Wir wissen, dass ihr der Mittelpunkt aller Existenzen seid. Euer Geheimnis ist kein Geheimnis mehr. Der Betrachter weiß mehr als Ovide es je tat. Der Betrachter weiß es. Er weiß alles!“ Ich bin skeptisch und erlaube mir einen kleinen Scherz. „Wenn der Betrachter all dies vorhergesehen hat, so kennt ihr den Grund für unseren Besuch und ich brauche meine Frage nicht stellen.“ „Ihr sucht etwas, was nicht zu finden ist.“ Die Antwort des Termagant erwischt mich kalt. Offenbar scheint der Betrachter mehr als nur ein Hochstapler zu sein. Zu meiner Enttäuschung wird mir jedoch mitgeteilt, dass das, was ich suche, sich nicht an diesem Ort befindet. Dabei habe ich das Gefühl, dass die Termagant gar nicht weiß, wovon die Rede ist, sondern lediglich die Worte des Betrachters memoriert. Angestrengt kramt er in seinen Erinnerungen. „Ihr solltet euch nicht fragen, wo ihr es finden könnt, sondern bei wem. Seid ihr euch sicher, dass ihr niemanden vergessen habt?“ Ich bin im Begriff die Bemerkung zu übergehen, als sich ein Gedanke Kevils vor mein Inneres Auge schiebt. Eine Gestalt in goldenen Roben, das Gesicht von einer Maske bedeckt. Jeremias! Kevil hat Recht. Der abweisende Gehilfe Keon Chuls muss im Besitz der Maske sein.
Zufrieden danke ich dem Kyton für seinen Hinweis und will mich bereits verabschieden, doch die Termagant hat noch eine weitere Information. „Ihr werdet den Betrachter suchen. Er will euch sprechen.“ Ich ziehe eine Augenbrauche hoch. „Wenn er das sagt, will ich dies nicht in Zweifel ziehen.“ An Fahrograz gewandt füge ich hinzu: „Wir haben Euch eine Kleinigkeit mitgebracht. Die Gepflogenheiten an dem Ort, welchen wir unsere Heimat nennen, sehen es vor, dass Gäste ein kleines Präsent mitbringen.“ Ich streife einen unscheinbaren Ring von meinem Finger und lasse ihn in Richtung des Interlokutors schweben. Es ist der Ring, den Etna und Ovide Mina ansteckten, um ihr vorzeitiges Ableben zu verhindern, als diese sie in die Nymphenstatue sperrten. Interessiert streckt Fahrograz seine langen, spitzen Klauen danach aus, doch bevor er den Ring erreicht, schnellt ein Tentakel der Termagant herbei, zertrümmert sein Handgelenk und greift gierig nach dem Ring. Erschrocken weicht Fahrograz zurück und nimmt eine unterwürfige Körperhaltung ein. Schlaff hängt seine Klaue herab. Ich bin erstaunt von dem Gebärden des sonst so stolzen und mächtigen Interlokutor. In Anwesenheit der Termagant ordnet er sich wie selbstverständlich unter. Wie auch unter Teufeln, scheint es auch unter Kytonen eine strikte Hierarchie zu geben.
Den Ring auf einer Klaue aufgespießt dröhnt die Termagant durch die Halle: „Was ist das?“ „Sterbliche Wesen“, beginne ich nachdenklich, „nutzen diesen Ring, um sich der lästigen Tätigkeiten zu entledigen, welche sie Tag für Tag aufbringen müssen, um ihre vergängliche Hülle bei Kräften zu halten. Doch in den Händen eines Kytonen wird dieser schlichte Ring zu einem grauenhaften Folterinstrument.“ Ich zwinkere ihr vielsagend zu und bemerke zugleich, dass sie keinen blassen Schimmer hat, wovon ich spreche. Der Interlokutor jedoch scheint verstanden zu haben. Mein anfänglicher Respekt vor der mächtigen Termagant ist angesichts seiner offenkundigen Geistlosigkeit im Verlauf des Gesprächs einer gewissen Verachtung gewichen. „Wir werden uns wiedersehen.“ Aus der Termagant sprechen die Worte des Betrachters und vermutlich, so muss ich eingestehen, wird sie Recht behalten. Als wir bereits im Begriff sind zu verschwinden, fügt sie hinzu. „Ihr werdet uns von großem Nutzen sein. Ihr werdet uns zu den Herrschern der Hölle machen.“ Waren das tatsächlich die Worte des Betrachters? Seine Prognosen scheinen mir doch etwas gewagt zu sein.
Als ich mich schließlich abwenden will, merke ich erneut das tiefe Verlangen in mir aufsteigen. Ich kann es nicht unversucht lassen und wende mich noch einmal Fahrograz zu. „Ihr habt noch etwas, was mir gehört“, stelle ich bestimmt fest, woraufhin der Interlokutor hämisch dreinblickt. Ich versuche ihn von einem Tauschhandel zu überzeugen, doch auch er scheint Gefallen an dem filigranen Schwert gefunden zu haben, welches inmitten seines Schädels steckt. Genüsslich preist er die Vorzüge der filigranen Klinge, doch wir beide haben die Rechnung ohne die Termagant gemacht. Abermals peitscht ein Tentakel nach Fahrograz, umschlingt das Schwert und zieht es mit einem heftigen Ruck begleitet von einem schmatzenden Geräusch aus dessen Schädel. Schwarzes, dickflüssiges Blut quillt hervor. Von einen auf den anderen Moment verfällt Fahrograz in Raserei und stürzt sich wie ein Besessener auf die Termagnat. Noch bevor er seine Klauen in ihrem Wanzt versenken kann, werden seine Gliedmaßen von Tentakel umschlungen und er brutal zu Boden gedrückt. Mit erschreckender Leichtigkeit und begleitet von einem lauten Krachen verrenken sich die Gließmaßen Fahrograz‘. Der Interlokutor, mein Peiniger und Herr über diese Hallen, liegt hilflos fixiert im Staub. Fassungslos blicke ich auf die Szenerie. Mit jeder verstreichenden Sekunde baut sich die Wut in mir auf. Dies ist mein Schwert, mein Wakizashi! Ich habe bereits mächtige Sprüche auf den Lippen, um der Termagant zu entwenden was mir gehört, als mich Kevil am Arm packt und davonzieht. Widerwillig gebe ich nach und so verlassen wir die Kytonenfestung ohne die Maske Keon Chuls und ohne mein Wakizashi.
Eine kurze Episode zwischen der achtundsechzigsten und neunundsechzigsten Sitzung am Mittwoch, den 12. Mai online via Discord.
Mit Tobi, Ilka und mir.
Ein spöttisches Lachen erklingt von einem fernen Ort. Ich presse meine Kiefer aufeinander, sodass die Wangenknochen hervorstehen und stoße einen gepressten Fluch aus. Ihm wird das Lachen noch vergehen! Kevil wischt die Enttäuschung mit einer gespielt lässigen Handbewegung beiseite. „Ein Versuch war’s wert. Recht hattest Du.“ Das ist wahr. Ich hatte geahnt, dass Fahrograz zu mächtig sei, um ihn aus seiner Festung in dieses Drecksloch zu rufen. Wir schweigen eine Weile und starren auf die feinen, mit Silberpulver gezogenen Linien auf dem Boden. Ich werde der Festung der gebrochenen Ketten einen weiteren Besuch abstatten müssen, um die Maske Keon Chuls zu suchen und dem Interlokutor zu nehmen was mir gehört.
„Dann muss ich eben zu ihm kommen.“ Mein Blick ruht auf dem Hexenmeister und mehr braucht es nicht, um herauszufinden, ob er mich begleiten wird. Ein verwirrter Blick. Eine unsichere Handbewegung durch die zotteligen Haare. Ein nervöses Nesteln an seinem Umhang. Und dann beobachte ich, worauf ich gewartet habe. Ein Lächeln umspielt seine Züge. Ich kann seine Gedanken förmlich hören. „Was wird Moraven dazu sagen?“ Stumm antworte ich ihm mit einem vielsagenden Blick. „Wenn wir ihm nichts sagen, wird er auch nichts einwenden können.“ Kevil steckt noch immer die missglückte Teufelsbeschwörung in den Knochen. Doch war er es, der vorschlug den Interlokutor zu rufen und auch jetzt macht er keinen Rückzieher.
Noch vor Anbruch des nächsten Tages halte ich den stumpfen, ovalen Spiegel in den Händen und imitiere den grotesken Gesang, welchen mich der Ostiarius lehrte. Ich presse absonderliche Klick- und Gurgellaute hervor, muss jedoch ein ums andere Mal wieder von vorne beginnen. Als ich es beinahe vollbracht habe, zumindest meine ich das, dringen Kevils Gedanken in mein Bewusstsein. Anscheinend höre ich mich an wie ein elendig verreckendes Insekt. Ungehalten bitte ich ihn seine Gedanken vor den meinen abzuschirmen und schalle mich selbst einen Dummkopf den Telepathie-Zauber nicht zu einem späteren Zeitpunkt gewirkt zu haben. Beim nächsten Anlauf gelingt es. Den Spiegel in den Händen haltend werden wir mit dem Kopf voraus hineingesogen, unsere Körper förmlich in die Länge gezogen und im nächsten Moment befinden wir uns in der Festung der gebrochenen Ketten.
Hustend und röchelnd krümmt sich Kevil und schnappt nach Lust, doch das, was seine Lungen füllt, bringt keine Erleichterung. „Wenn Du noch lauter stirbst, hört selbst Valxefesh’zar uns aus ihrer Bibliothek“, spotte ich in Gedanken, noch während ich den Zauber wirke, welcher die ersehnte Erleichterung bringt. Anscheinend hat man uns nicht gehört, denn wir können ungestört den Spiegel in das dafür vorgesehene Becken legen, um dessen Magie wiederherzustellen. Die dunkle Flüssigkeit kräuselt sich und interessiert verfolge ich die grauen Schlieren, welche sich wie ein Gewitter zusammenbrauen. Als das Wasser klar geworden, nehme ich die Beschwörungsaura wahr und weiß, dass das Ritual geglückt ist.
Leise öffnen wir die mit Ketten beschlagene Tür und treten hinaus auf die Empore. Aus der unter uns liegenden Halle vernehmen wir infernalische Gebete. Vorsichtig nähern wir uns der Balustrade und blicken hinunter. Vor der gigantischen und furchteinflößenden Vevelorstatue, bei deren Anblick es mir noch immer kalt den Rücken hinunterläuft, haben sich ein Dutzend Kytone in einem Halbkreis versammelt: einige Suffragan und Lampadarius, ein Evangelist, ein Ostiarius, ein Sakristan, der Interlokutor und ein weiterer Kyton mit unförmigem Unterleib, welchen ich zuvor noch nicht gesehen habe. Für einen Moment meine ich, dass sie uns nicht bemerkt haben könnten, doch ihre Gesänge verhallen und die Kytone wenden sich von ihrer Gottheit ab und blicken zu uns hinauf. Schließlich, als letztes, dreht sich auch das mir bisher unbekannte Wesen um und ich sehe mich einer Termagant gegenüber. Der entfernt weiblich anmutende Oberkörper wirkt muskulös, was aber auch daran liegen mag, dass die dunkelrot glänzenden Muskelstränge ungeschützt daliegen. Unterhalb der Brust wölbt sich ein gigantischer Unterleib, wie ein prall gefüllter, von Adern durchzogener Ledersack aus dem wiederum fleischige, meterlange Tentakel entspringen, welche jeweils in einer gebogenen Klaue enden. Während er sich langsam schwebend auf uns zu bewegt, schleifen ihre fleischigen Auswüchse über dem Boden. In kurzen, prägnanten Gedankenfetzen teile ich Kevil mit, was ich über diesen Kyton zu wissen glaube. Dies ist zweifelsohne die mächtigste Kreatur in diesen Hallen. Eine geschickte Kämpferin, welche Freude darin findet, ihre Feinde mit Giften zu foltern.
„Wer wagt es unsere Zeremonie zu stören?“ Die Stimme der Termagant scheint tief aus ihrem Innern zu hallen. Noch bevor Kevil eine schlagfertige Antwort über die Lippen bringt, antwortet Fahrograz. „Das sind sie. Das sind die Sterblichen!“ Sie mustert uns abschätzig. „Das sind diejenigen, die mit den falschen Propheten gemeinsame Sache machen?“ Die Termagant ist offenbar angesichts unserer unscheinbaren Gestalt ernüchtert. Kevil und ich blicken uns irritiert an. Woher weiß Fahrograz von den falschen Propheten? Ich überspiele meine Verwirrung und grüße Fahrograz wie einen alten Freund. „Es hätte mich gewundert, euch nicht wiederzusehen“, entgegnet er emotionslos. Ärgerlich bringt die Termagant ihn zum Schweigen. „Still! Von hier an übernehme ich!“
Aus mir unerfindlichen Gründen hegt sie ein Interesse an den falschen Propheten und nötigt uns zu erzählen, was wir über sie wissen. Ich schließe die Augen und sehe die Skulptur eines falschen Propheten vor mir. Ein Geschenk Mareens aus der Galerie der Ovide. Eine Metapher, die Materialisation eines Gedankens. Mit einer kurzen Formel lasse ich ein Trugbild in der Halle schweben. Eine abstrakte Gestalt, rotierend, Form und Farbe in ständigem Fluss. Ernüchtert bemerke ich, dass ich selbst durch eine magische Illusion nicht im Stande bin, Ovides Kunstwerk ansatzweise zu imitieren. Die Kytonen jedoch verfolgen gebannt die sich über ihnen drehende Figur, während ich erzähle, was ich zu wissen meine. „Die falschen Propheten, so sagte Ovide, sind grausame Wesen, welche weder wahrnehmbar noch vorstellbar seien. Sie meinte ihre Existenz erkannt zu haben, wodurch sie in einen Zustand verfiel, welchen meine Freunde als Wahnsinn bezeichneten. Sie sprach von Transzendenz, dem Ende des Multiversums und verhöhnte die Götter. Die Götter, so sagte sie, seien Wesen wie Du und ich.“ Dabei deute ich auf die Statue des Vevelor. „Zwischen ihm und dir besteht kein kategorischer Unterschied. Nicht einmal zwischen einem bemitleidenswerten Auguren und Zon-Kuthon. Die Götter sind Gefangene des Multiversums.“ Ich lasse die Worte einige Sekunden wirken, bevor ich fortfahre. „Die falschen Propheten entziehen sich jedoch der Logik des Multiversums. Sie stehen außerhalb von ihr und sind ihren Gesetzen nicht unterworfen.“ Erstaunt stelle ich fest, dass die Kytonen wie gebannt an meinen Lippen hängen und ich meine aus den entstellten Gesichtern völlige Verständnislosigkeit ablesen zu können. „Im Erscheinen meiner Freunde in der Kunstgalerie sah sie den Beweis für die Existenz der falschen Propheten. Im Besitz dieser Erkenntnis erschien Ovide ihre eigene Existenz als wertlos und sinnentleert.“ Es fällt mir nicht schwer dies zu memorieren und für Zuhörer mag dieser Vortrag entweder wie der eines Verwirrten oder der eines Erleuchteten klingen. Jedoch muss ich eingestehen, dass ich die Bedeutung meiner eigenen Worte nicht fassen kann und offensichtlich ergeht es den Kytonen nicht anders.
„Es ist genau so wie der Betrachter es berichtet“, stellt die Termagant fest. „Es geht um so viel mehr. Ich bin nicht mehr als ein Botschafter aller Kytone.“ Der Betrachter also. Sie haben mit dem Wächter der Kunstgalerie gesprochen. Jener Kreatur, welche Mina folterte, meinen Freunden absonderliche Fragen stellte und Roswen gefangen hielt. Daher die Fragen nach den falschen Propheten. Ich will wissen, was er den Kytonen erzählt hat, bekomme jedoch nur ein ums andere Mal erklärt, dass er alles vorausgesehen hätte. „Wir wissen, dass ihr der Mittelpunkt aller Existenzen seid. Euer Geheimnis ist kein Geheimnis mehr. Der Betrachter weiß mehr als Ovide es je tat. Der Betrachter weiß es. Er weiß alles!“ Ich bin skeptisch und erlaube mir einen kleinen Scherz. „Wenn der Betrachter all dies vorhergesehen hat, so kennt ihr den Grund für unseren Besuch und ich brauche meine Frage nicht stellen.“ „Ihr sucht etwas, was nicht zu finden ist.“ Die Antwort des Termagant erwischt mich kalt. Offenbar scheint der Betrachter mehr als nur ein Hochstapler zu sein. Zu meiner Enttäuschung wird mir jedoch mitgeteilt, dass das, was ich suche, sich nicht an diesem Ort befindet. Dabei habe ich das Gefühl, dass die Termagant gar nicht weiß, wovon die Rede ist, sondern lediglich die Worte des Betrachters memoriert. Angestrengt kramt er in seinen Erinnerungen. „Ihr solltet euch nicht fragen, wo ihr es finden könnt, sondern bei wem. Seid ihr euch sicher, dass ihr niemanden vergessen habt?“ Ich bin im Begriff die Bemerkung zu übergehen, als sich ein Gedanke Kevils vor mein Inneres Auge schiebt. Eine Gestalt in goldenen Roben, das Gesicht von einer Maske bedeckt. Jeremias! Kevil hat Recht. Der abweisende Gehilfe Keon Chuls muss im Besitz der Maske sein.
Zufrieden danke ich dem Kyton für seinen Hinweis und will mich bereits verabschieden, doch die Termagant hat noch eine weitere Information. „Ihr werdet den Betrachter suchen. Er will euch sprechen.“ Ich ziehe eine Augenbrauche hoch. „Wenn er das sagt, will ich dies nicht in Zweifel ziehen.“ An Fahrograz gewandt füge ich hinzu: „Wir haben Euch eine Kleinigkeit mitgebracht. Die Gepflogenheiten an dem Ort, welchen wir unsere Heimat nennen, sehen es vor, dass Gäste ein kleines Präsent mitbringen.“ Ich streife einen unscheinbaren Ring von meinem Finger und lasse ihn in Richtung des Interlokutors schweben. Es ist der Ring, den Etna und Ovide Mina ansteckten, um ihr vorzeitiges Ableben zu verhindern, als diese sie in die Nymphenstatue sperrten. Interessiert streckt Fahrograz seine langen, spitzen Klauen danach aus, doch bevor er den Ring erreicht, schnellt ein Tentakel der Termagant herbei, zertrümmert sein Handgelenk und greift gierig nach dem Ring. Erschrocken weicht Fahrograz zurück und nimmt eine unterwürfige Körperhaltung ein. Schlaff hängt seine Klaue herab. Ich bin erstaunt von dem Gebärden des sonst so stolzen und mächtigen Interlokutor. In Anwesenheit der Termagant ordnet er sich wie selbstverständlich unter. Wie auch unter Teufeln, scheint es auch unter Kytonen eine strikte Hierarchie zu geben.
Den Ring auf einer Klaue aufgespießt dröhnt die Termagant durch die Halle: „Was ist das?“ „Sterbliche Wesen“, beginne ich nachdenklich, „nutzen diesen Ring, um sich der lästigen Tätigkeiten zu entledigen, welche sie Tag für Tag aufbringen müssen, um ihre vergängliche Hülle bei Kräften zu halten. Doch in den Händen eines Kytonen wird dieser schlichte Ring zu einem grauenhaften Folterinstrument.“ Ich zwinkere ihr vielsagend zu und bemerke zugleich, dass sie keinen blassen Schimmer hat, wovon ich spreche. Der Interlokutor jedoch scheint verstanden zu haben. Mein anfänglicher Respekt vor der mächtigen Termagant ist angesichts seiner offenkundigen Geistlosigkeit im Verlauf des Gesprächs einer gewissen Verachtung gewichen. „Wir werden uns wiedersehen.“ Aus der Termagant sprechen die Worte des Betrachters und vermutlich, so muss ich eingestehen, wird sie Recht behalten. Als wir bereits im Begriff sind zu verschwinden, fügt sie hinzu. „Ihr werdet uns von großem Nutzen sein. Ihr werdet uns zu den Herrschern der Hölle machen.“ Waren das tatsächlich die Worte des Betrachters? Seine Prognosen scheinen mir doch etwas gewagt zu sein.
Als ich mich schließlich abwenden will, merke ich erneut das tiefe Verlangen in mir aufsteigen. Ich kann es nicht unversucht lassen und wende mich noch einmal Fahrograz zu. „Ihr habt noch etwas, was mir gehört“, stelle ich bestimmt fest, woraufhin der Interlokutor hämisch dreinblickt. Ich versuche ihn von einem Tauschhandel zu überzeugen, doch auch er scheint Gefallen an dem filigranen Schwert gefunden zu haben, welches inmitten seines Schädels steckt. Genüsslich preist er die Vorzüge der filigranen Klinge, doch wir beide haben die Rechnung ohne die Termagant gemacht. Abermals peitscht ein Tentakel nach Fahrograz, umschlingt das Schwert und zieht es mit einem heftigen Ruck begleitet von einem schmatzenden Geräusch aus dessen Schädel. Schwarzes, dickflüssiges Blut quillt hervor. Von einen auf den anderen Moment verfällt Fahrograz in Raserei und stürzt sich wie ein Besessener auf die Termagnat. Noch bevor er seine Klauen in ihrem Wanzt versenken kann, werden seine Gliedmaßen von Tentakel umschlungen und er brutal zu Boden gedrückt. Mit erschreckender Leichtigkeit und begleitet von einem lauten Krachen verrenken sich die Gließmaßen Fahrograz‘. Der Interlokutor, mein Peiniger und Herr über diese Hallen, liegt hilflos fixiert im Staub. Fassungslos blicke ich auf die Szenerie. Mit jeder verstreichenden Sekunde baut sich die Wut in mir auf. Dies ist mein Schwert, mein Wakizashi! Ich habe bereits mächtige Sprüche auf den Lippen, um der Termagant zu entwenden was mir gehört, als mich Kevil am Arm packt und davonzieht. Widerwillig gebe ich nach und so verlassen wir die Kytonenfestung ohne die Maske Keon Chuls und ohne mein Wakizashi.
Eine kurze Episode zwischen der achtundsechzigsten und neunundsechzigsten Sitzung am Mittwoch, den 12. Mai online via Discord.
Mit Tobi, Ilka und mir.